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XLV.
DEUTSCHLAND
gleichzeitig mit allen zu Gebote stehenden Mitteln die Träger der
Handlung in der Abhängigkeit von ihrer physischen und moralischen
Umgebung, von der wirklichen und sittlichen Atmosphäre darzu-
stellen suchte, so war auch für die Malerei die Atmosphäre Luft
und Licht das wichtigste Studienfeld geworden. Dazwischen
tauchten kleine Landschaften auf das Unscheinbarste, was man malen
konnte: eintönige Ebenen, das arme flache Land, Gemüsegarten und
Krautäcker, geradlinige, in breiten Streifen gezogene Tulpenbeete:
besonders oft bemerkte man die eigenthüinliclrschillernden, blaurothen
Töne des Kohlkopfes. NVie die Figurenmalerei es verschmähte, noch
durch Geschichten und Pointen das Interesse des für Kunst Un-
empfänglichen zu erregen, so verschmähten die Landschafter, durch
Vorführung der Touristennatur ein topographisches Interesse zu er-
wecken oder durch falsche Stimmung für ihre Bilder Stimmung zu
machen. Sie gaben mit gebundenen Händen pietiitvoll der Natur
sich hin, wollten das Auge nur hinlenken auf jene seelenvollen atmo-
sphärischen Reize, die über stillen, unberührten kViitkeln ruhen. Die'
deutsche Malerei war idealer und geschmackvoller geworden, indem
sie nicht mehr direct für den Käufer arbeitete; sie war, obwohl sie
nur mit Mühseligen und Beladenen, Kartorfel- oder Kohlfeltient sich
beschäftigte, exclusiver und vornehmer geworden, indem sie nur
leise, discrete Töne anschlug und keine Rücksicht auf die nahm,
die diese Töne nicht hören konnten.
In der That war der Kampf, der in Deutschland zu bestehen
War, ein fast noch schwererer als in Frankreich. Man hatte seit
Oswald Achenbach und Eduartl Grützner so viele Ansichten vom
Vesuv und vom Golf von Neapel, so viele humoristische Episoden
gesehen, dass man nach diesen Galalandschaften und lachenden Ge-
sichtern einfache Gegenden und ernste Menschen sich kaum mehr
vorstellen konnte. Die Uncrbittlichkeit des Natursttidiums empörte
die Augen, die die Natur nur noch nllßfgCldClltßtx vertragen konnten.
Die frische Wiedergabe eigener Natureintlrficke wirkte brutal gegen-
über jener glänzenderei] Malerei, die die fertige Formen- und Farben-
sprache der Alten geschickt als Ausdrucksmittel für ihre Zwecke
benutzte. Das liebevolle Suchen nach den Tonvxterthen unter Ver-
zieht auf jeden erzählenden Inhalt wurde für geistlos gehalten, weil
das Stoffinteresse, das roheste, das sich zur Kunst in Beziehung
setzt, noch immer den Sinn für eigentliche Malerei schwer auf-
kommen liess.