XLV.
DEUTSCHLAND
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Carl Hrfüzer fand in der weichen Parknatur Englands ansprechende
Motive: stille Landsitze, die traulich, unter Bitumen versteckt, träumen
und einsame Weiher, in denen triig hinziehende Wolken sich spiegeln.
Allein weder Lier selbst in seinen spiitern Jahren noch einer seiner
Nachfolger besass die Achtung vor der Natur, die nöthig gewesen
wäre. um aus den Lehren der den vollen Gewinn
zu ziehen. Nur Anfangs, beim ersten Bekanntvxterden des Paysage
intime, erfrischte man sich an dem neuen Quell. Die späteren zeigen
ihn sehr versetzt mit unpassenden Gewürzen. Zur Zeit, als der alt-
meisterliche Galerieton die Figurenmaleri beherrschte, ward auch die
Landschaft diesem Einfluss unterthan. Liers warmes goldiges Licht
wurde in der Münchener Schule zur Formel. Auf die schöne Vedute
folgte der schöne Ton. Man betrachtete die Natur noch immer zu
Gunsten vorgefasstei" Stimmungen, wodurch die schlichte Naturpoesie
der Franzosen allmählich in ihr Gegentheil verkehrt wurde.
So lagen die Dinge, als in Paris die Impressionisten den Ruf
nach Licht und Sonne erschallen liessen und durch die imposante
Bctheiligtmg der Franzosen an der Münchener Attsstellung 1879
von diesen Neticrungen genauere Kunde ward. Nachdem 1869 Cour-
bet am deutschen Kunsthimmel aufgegangen, wiesen die Aussteller
von 1879 auf den Weg, der von Courbet zu Millet, zu Manet und
BastiensLepatge führte.
Bald darauf merkte man eine gewisse Veränderung in den deut-
sehen Ausstellungen. Zwischen den grossen Historien, altmeister-
lichen Kostümstücken und veralteten Genrescenen hingen hier und
dort sehr bescheidene Bilder, die von keinen Staatsactionen und
amüsanten Schwanken erzählten, sondern Einfaches, Unscheinbares,
unmittelbar Beobachtetes darstellten. Sie schilderten den Menschen
bei der Arbeit: Hirten, Bauern, Schuhmacher, Netzeflickerinnen,
Segelniiher und Drahtbinder, sie schilderten ihn bei der Erholung
im Biergarten oder bei der gezwungenen Unthatigkeit des Alters.
Die dargestellten Personen agirten nicht mit dem Publikum, wie
auf früheren Genrebildern, sondern gingen still in der Sache auf,
Alles war getilgt, was an die Beziehung zwischen Modell und
Künstler, zwischen Figur und Ausstellungsbesticher erinnern konnte.
Aber auch das Leblose, Versteinerte, das den Erzeugnissen des Real-
ismus anhaftete, war gewichen. Kraftvoll wehte der Wind um die
Figuren; nicht nur Bauern und Bauernkittel sah man, sondern glaubte
Land-, Wald- und Erdgeruch zu WVie das moderne Drama