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XLHI.
RUSSLAND
keinen hohen, doch einen ehrenxxierthen Platz in der Entwicklungs-
geschichte des modernen Kunstprincips sichert.
Mit YVei-estschzigin endete diese Sturm- und Drangperiotle der
russischen Kunst. Man konnte nicht immer geisseln, Flüche aus-
stossen und gegen die Schäden der Schöpfung wettern. Auf den
Sturm folgte die Erschlaffung, auf das Aufbaumeii die Enttäuschung.
Die Gesellschaft beruhigte sich, die Literatur streckte die XVatfc-n.
Auch die Maler wurden müde, im Dienste fortschrittlicher Ideen ihren
eigenen Beruf zu xiergessen. Die sensationelle Iiendenx- und Anklage-
malerei trat zurück, während desto grösserer Nachdruck atuf die ge-
wissenhafte, harmonische Ausführung gelegt ward.
Wie im tibrigen Europa spielte auch in Russland die La n d-
schaft in diesem Kampf um's rein Malerische die vermittelnde
Rolle. Russland besitzt in Turgeniews wTagebuch eines jiigersa eins
der merkwürdigsten Bücher der modernen Literatur. Er hat die
Wälder und Steppen seines Landes entdeckt, sie sprechen machen
und schweigen. Er fühlt die Natur wie eine Geliebte, nistet sich
ein. in ihr, Wächst mit ihr so" zusammen, dass er sich in der Einsam-
keit fühlt wie der Fisch in der kühlen Fluth. NVelch reizendes
Waltiidyll, wenn er als Jäger in seinem Revier auf dem Rücken
liegt und in den wolkigen Himmel schaut, wenn er abendlich durch
duftende Wiesengrfintle irrt, zur Nachtzeit sich am Hirtenfeuer lagert
und das Walten der Mitternacht beobachtet bis zum tiiininierntlen
Morgengrauen; wenn er laleine Gutshöfe beschreibt in friedseliger
Aermlichkeit, oder jene düster endlosen Gegenden des innern Russ-
land, wo Alles trüb ist wie ein nebelgratier Regentag. Alleinstehend
in der ganzen Weltliteratur ist diese seltsame Verschmelzung von
Liebe und Furcht, von Naturschwarmerei und Naturgrausen. Jeder
Grashalm lebt, Alles webt und schallt, der Geist der Steppe wallt
sichtbar fiber die Erde, mysteriös Linheimlicli, stunlm, kalt und grausig.
Auch auf dem Gebiete der Kunst sind Landschaften die erlreulichsten
Leistungen, die das moderne Russland hervorhraehte.
Stsclzezirin, der mit 38 Jahren in Neapel verstorbene Meister, war
der Gründer dieser russischen Schule: ein Maler von so schlichter,
tcmperainentvtwller NViirme, wie deren in den zwanziger Jahren des
Jahrhunderts Europa nicht aufwies. Thurnlhoch steht er über Allein,
was damals von V alenciennes und Bertin, selbst von Koch und Rott-
inann gemalt wurde. Als directer ebenbürtiger Nachfolger Dujxlrdins,
Berchems und Pynackers lebte er in's I9. Jahrhundert herüber. Seine