XLIII.
RUSSLAND
335
Eine kolossale Leinwand mit stürzenden Hiiusern und wimmelnden,
tiberlebensgrossen Figuren, ein buntes leuchtendes Farbenchaos, wo-
rin M135 Feuer des Vesuvis mit dem Glanze des Blitzes vom Himmel
geraubt zu sein SCllicna, musste einen erschütternden Eindruck auf
Leute machen, die bisher nur an dunklen todten Coinpositionen sich
erfreuen konnten. Brülow, hiess es, habe Michelangelo und Rafael
übertroffen; er allein habe verstanden, das grünlich 'l'ragische mit
edelster Schönheit zu vereinen. Solche Reden wurden nicht nur
von kleinen Feuilletonisten gehalten: die grössten Genien Russlands
suchten, nachdem Scott das Beispiel gegeben, sich im Brtilowcultus
zu überbieten. Gogol spendete in einem Aufsatz tinbeniessenes Lob,
Puschkin wälzte sich vor dem Maler auf den Knieen, um eine Skizze
von ihm zu erbetteln; Shukowsky verbrachte ganze Tage in Brü-
lows Atelier und nannte dessen religiöse Ewilder wVOll Gott inspirirte
ViSlODCHe.
Heute ist dieser Enthusiasmus so schwer verständlich, als die
Begeisterung. die gleichzeitig den Werken des Delaroche, YVapipers
und Gallait zu Theil ward. Gewiss hat Brülows xPOlDpCjia in der
russischen Kunst kulturgeschichtliche Bedeutung. Gerade weil es in
die Eintönigkeit des Classicismtis wie eine grelle Fanfare herein-
schmetterte, erweckte es den Sinn für Farbe und lenkte die bis da-
hin schlummernde Aulinerksanikeit des russischen Publikums auf die
Vaterländische Malerei. Das Kunstinteresse erstarkte; mit jedem Jahre
wuchs die Zahl der Ausstellungsbesticher; man verfolgte mit Spann-
ung die Thatigkeit der einheimischen Maler.
Doch das gibt für die kunstgeschichtliche Beurtheilung keinen
Massstab. Brülows Bild war ein zahmes Compromisswerl; zwischen
Classicismtis und Romantismus. Man erhielt scheinbar etwas Neues
ohne doch seinen Geschmack verändern zu müssen und gerade
das mzlchte den Maler wie gleichzeitig Delatroche, zum Liebling
der Alten und Abgott der Jungen. Statt der abscheulichen gemeinen
Wirklichkeit, statt unscheinbarer Menschen, wie sie iVeneziatnow
gemalt hatte, sah man eine hübsche Theaterdekoration mit niedlich
posirenden Idealfigtiren. Der Typus der Classicisten war zwar etwas
geändert: an die Stelle der Antinotls- und Laoktionköpfe war ein Ge-
misch Domenichinos und der Niobe getreten aber das schöne hohe
Ideal, das mit gelbweissen und braunrothen Wachsfiguren sein Wesen
trieb und sie in kunstvolle Theaterposen setzte, blieb doch noch immer
in Ehren. Die mehr als mittelmiissige Oper von Paccini vL'ultimo