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XLIII.
RUSSLAND
gemeinen Entwicklung seit IOO Jahren eine achtenswerthe Summe
künstlerischer Kraft. Während die ältere Zeit nur flache Eindrücke
fremden Stils in sich aufnahm, ist man jetzt schon mehr im Stande
Eigenes daraus zu machen. Unter den Entdeckern und Neubildnern
der europäischen Kunst findet sich kein russischer Name, aber ge-
wöhnlich ist einer mit im Gefolge der Landgewinner. Namentlich in
den alljährlichen WanderaLisstellungen häufen sich die Bilder, die wie
Botschaften eines nzihen russischen Kunstfrühlings wirken. Von un-
selbständigen, nachempfundenen Werken erhebt sich die Malerei zu
nationaler barbarischer Kraft, der jede Zucht des Geschmackes noch
fehlt, von dieser schlechten Originalität zu einzelnen vornehm feinen
und gemessenen Leistungen, in denen zugleich zitternd die Seele
des Volkes lebt das ist etwa die Entwicklung, die im I9. jahr-
hundert durchlaufen wurde.
Was vor 1700 in Russland entstand, ist allein für die Forsch-
ungen des Byzantinisten von Werth. Die Verbindung des Zaren-
reiches mit dem Westen datirt erst seit Peter dem Grossen. Dieser
bedurfte für seine in europäischem Stil errichteten Patliiste auch
europäische Bilder Plafonds und Wandmalereien und berief zu
ihrer Anfertigung eine Anzahl mittelmässiger Maler aus dem Ausland,
die in handwerklicher Weise die von Lebrun erfundenen hönschen
Allegorien für russische Zwecke zustutzten. Als Porträtmaler wurden
Dannhauer, Grooth, der ältere Lampi, dann Toqtie, Rotari und Andere
am Petersburger Hofe beschäftigt. Für das Emporkrvmmen einer
miatioiial-russischen Kunsta war ihr Auftreten selbstverständlich be-
langlos. Der asiatische Koloss erhielt nur eine oberflächliche, west-
europäische Tünche. Aber die Barbaren bekamen doch Lust an
Bildern, an Luxus, Eleganz und Verfeinerung. Die Aufträge häuften
sich. Namentlich bei der märchenhaften Pracht, die unter Elisabeth
den Hof und die Aristokratie tibersclnveninite, waren ganze Regimenter
von Künstlern nlöthig. Nachfrage erzeugt Angebot. Und so tauchen
zwischen den fremden bald auch einheimische Kräfte auf, die sich
zum Theil neben ihren französischen Genossen gut behaupten. Be-
sonders Lewitzky, der erste bemerkenswerthe Maler des Reussen-
reiches, kann zu den besten Porträtisten des I8. Jahrhunderts gezählt
werden. Er steht als Colorist und Charaktcristiker nicht auf gleicher
Stufe mit Reynolds, Gainsborough oder Graff, aber man kann seine
Bildnisse leicht mit solchen der Frau Vigee-Lebrun oder Rafael Mengs
verwechseln. Rukom-zu, sein Zeitgenosse, ist trockener und weniger