Volltext: Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert (Bd. 3)

XLII. 
NORWEGEN 
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ganze Wahrheit, nichts als die YVahrheit. Als Autor des socialen 
Romans x-Albertinea hatte er schon, bevor er den Pinsel in die Hand 
nahm, einen Namen bekommen, und Armeleutbilder oder Kranken- 
scenen waren auch seine ersten künstlerischen Erzeugnisse. Da sitzt 
ein armes, hässliches Nähmädchen, emsig arbeitend bei schliifrigem 
Lampenlicht. während schon die graue Morgendiinunerung bleischwer 
durch's Fenster bricht. Dort wird der Arzt aus lichtdurchiiossenen 
GESCllStllzlftSfiitllllell zu der armen Frau hinausgerufen, die vor Kälte 
zitternd im dunkeln Vorraum steht. Einen unheimlich düstern Ein- 
druck macht in der Nationalgalerie von Christiania das grosse Bild 
wider Kampf unfs Daseina: eine neblige Strasse in winterlichem 
Morgendiiinniern; vor einer Hausthüi" eine sich drängende, stossende 
Menge, aus deren Gestalten das Elend in allen Tonarten spricht. Aus 
der Thüre streckt sich eine brotvertheilende Hand herxtor; sonst ist 
die Strasse leer, nur in der Ferne geht ein Polizist gleichgiltig dahin; 
tiefe Ruhe herrscht in Christiania. Das Aeusserste an schonungsloser 
Sachlichkeit leistete er in dem grossen Bilde der ärztlichen Unter- 
suchung: in einem kahlen, von grauem Tageslicht tiurchHossenen 
Raum des Polizeigebiitides versammeln sich die verlebten Gestalten 
öffentlicher Mädchen, um sich ihrer wöchentlichen Visitation zu 
tinterwerfeit. Doch Krohgs eigentliche Domime ist nicht dieser ge- 
malte Zolaismus, sondern die Schilderung des norwegischen Lootsen. 
An die Stelle der qualmigen Zimmeratmosphiire, die seine ersten 
Bilder durchschwtangert, trat in seinen spätern Arbeiten die frische 
Meerluft, die schneidend über salzige Fluthen streicht. Krohg kennt 
die See und die Seeleute, den Kampf des Menschen mit der eisigen 
Fluth. Was sind das für stahlgehiirtete, prächtige Gestalten mit 
ihren wcttergebriitmten Gesichtern, ihren Oelkappen und blauen 
Blousen. Wie sind sie in grossen Farbenstrichen kühn auf die Lein- 
wand gesetzt und wie schneidig schlagt die frische Luft des Pleinaii" 
entgegen. Krohgs YVinkel von Schiffen sind kühn abgeschnitten, man 
Sieht von den Wogen nichts und fühlt sie trotzdem Wie wuchtig 
wirkt dieser Matrose, der auf der Schiffsbrticlte das Wetter beobachtet, 
dieser Steuermann, der in der Kajüte die Karte ausbreitet. Selbst Michael 
Ancher, mit dem er in Skagen zusammen war, ist ein Zwerg gegen 
Christian Krohg. Seine Bilder sind derb, aber sehr gesund. Und 
wenn es zur Abwechslung ein hübsches Fischermädchen unter dem 
frischen Licht des Frühlings zu malen gilt, kann dieser brüske Natur- 
alist auch zart, dieser grobknochige Freiluftmensch auch weich sein.
	        
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