Volltext: Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert (Bd. 3)

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XXXIX. 
HOLLAND 
Fischer, der auf dem T odtenbett liegt, die grosse Ruhe gekommen. 
Er leidet nicht mehr und fühlt nicht mehr. Seine Augen sind ge- 
schlossen, die Lippen unbeweglich, die Züge starr. Durch das 
Ganze ging ein tiefes, persönliches Gefühl, eine grosse menschliche 
Poesie, und ihr entsprach die düstere Tönung, die, alle Finessen 
verschmahentl, nur Ausdruck der Stimmung war. Mit diesem Bilde 
hatte Israels sich selbst gefunden. Geschützt und anerkannt, ver- 
heirathete er sich 1863 mit der Tochter eines Groninger Advokaten 
und liess sich erst in Scheveningen, dann im Haag nieder. Hier 
wurde er im Laufe des letzten Menschenalters der Künstler, den die 
Welt bewundert. Hier hat er ein Meisterwerk nach dem andern 
gemalt mit jener unermüdlichen Arbeitskraft, die noch dem Siebzig- 
jährigen eigen. 
Josef Isratels lebt ganz regelmüssig. jeden Morgen um 9 Uhr 
sieht man ihn seinen Spaziergang machen und punkt I0 Uhr steht 
er vor der Staffelei. In der Koningimiegrztclit, der stillen, echt hol- 
ländischen Strasse, die zum Park hinausführt, liegt seine Wohnung. 
Man kommt an kleinen rothdachigen Häuschen vorbei, die sich 
pikant absetzen gegen den nebligen Himmel, der Kanal ist von 
Biiumen begrenzt, die sich lustig im Vifassei" spiegeln. In der Nähe 
pfeift eine Dampftrambahn, die ihre regelmiissige Tour zwischen 
dem Haag _und Scheveningen macht. In Israels" Hause herrscht 
lautlose Stille. Vornehme Gobelins dämpfen die Stimme, dicke 
Teppiche den Schritt. An den YViintlen hier und da in fein pro- 
filirtem schwarzem Rahmen eine Rembrandtsche Radirtmg. Alles 
ist intim, in zarten ruhigen Tönen gehalten; selbst die Gedanken 
müssen subtil werden im vornehmen Schweigen dieses Künstler- 
heims. Hinter der XVohntmg liegt ein Garten mit grossem Glas 
haus. Der hier arbeitet, ist ein ganz kleiner Mann mit hoher 
Diskantstimme, faltigem Gesicht, weissem Bart und zwei funkelnden, 
hinter grossen Brillengliisern hervorblitzentien schwarzen Augen. Alles 
an ihm ist von quecksilberhafter nervöser Beweglichkeit. Immer gesti- 
kulirend und sprechend, holt er, wenn man ihn besucht, alte Bilder 
hervor, betrachtet sie, den Kopf nach rechts und nach links neigend; 
nimmt, wie um nachzuprüfen, selbst die Stellung seiner Netze- 
Hickerinnen oder Kartoüfelleserinnent an, zeichnet mit den Armen 
grosse Landschaften in die Luft, setzt sich, um sofort wieder aufzu- 
stehen, sucht etwas und erinnert sich dabei einer Bemerkung, die 
er in der Zeitung gelesen. Selbst wenn er beim Malen ist, liiuft
	        
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