Volltext: Geschichte der Malerei im XIX. Jahrhundert (Bd. 3)

So lang es sich um die Eroberungwdes Sjnnenlichtes handelte, 
standen Schilderungen aus dem Arbeiterleben auf dem Lande und 
in den Städten im Mittelpunkt der Bestrebungen. weil sich an ihnen 
Anschauung und technische Mittel der neuen Kunst besonders er- 
folgreich erproben liessen. Zugleich trat die Malerei durch diese 
Bilder noch enger als bisher in Fühlung mit dem Pulsschlag der 
Zeit. In einer Epoche, wo der arbeitende Mensch als solcher, die 
politisch-sociale Culturbewegttng in den Mittelpunkt des Interesses 
getreten war, musste auch in der Kunst das Arbeiterbild einen 
wichtigen Raum beanspruchen, und darin, dass die moderne Malerei 
nicht mehr gleichgültig von diesen Dingen fernblieb, liegt zugleich 
eine der besten Seiten ihres sittlichen Werthes. Als das Jahrhundert 
begann, waren nur Hector und Agamemnon ltunstüihig, im Laufe 
der Entwicklung erwarben auch die Enterbten, die Mühseligen und 
Beladenen das Bürgerrecht. Vasari in der Stelle, wo er von den Ma- 
donnen des Cimabue spricht und sie mit den altern byzantinischen 
vergleicht, meint fein, der florentinische Meister habe mehr wHCfZCHS- 
gütea in die Kunst gebracht. Vielleicht werden die Historiker der 
Zukunft von der Malerei der Gegenwart das Gleiche sagen. 
Die Vorliebe für die Enterbten war Anfangs sogar derart, die 
schlichte, rechtschaffene Proletariermalerei so ausschliesslich vor- 
herrschend, dass man den Naturalismus, weil seine ersten, grossen 
Erfolge die Elenden und Verstossenen aufgesucht hatten, überhaupt 
ausserhallw der Armuth sich nicht vorstellen konnte und ernst- 
hafte Kritiker in der Entdeckung des vierten Standes seine wichtigste 
That sahen. Selbstverständlich wäre die Arnieleutmalerei als einziges 
T hiitigkeitsfeld der neuen Kunst eine sehr einseitige Eroberung ge- 
wesen. Nicht der arbeitende Mensch allein durfte geschildert werden, 
das Zeitalter musste versuchen, den Inhalt seiner complicirten Lebens- 
bedingungen gross und voll zusammenzufassen. Es begann über- 
haupt die lange entbehrte Schilderung des heutigen Menschen und 
der vom Strome des Lebens bewegten Gesellschaft. Wie Zola gleich 
im Beginne der Bewegung schrieb: sDer Naturalismus hängt nicht 
ab von der Wahl des Vorwurfs. Die ganze Gesellschaft ist seine Do- 
mäne, vom Salon bis zur Kneipe. Nur die Dummköpfe machen ihn 
Zur Rhetorik der Gosse. Wir verlangen für uns die ganze Welm 
Alles ist zu malen: die Schmieden, die Bahnhöfe, die Maschinen- 
hallen, die Arbeitsräume der Handwerker, die glühenden Oefen 
der Schmelzvsrerke, die" officiellen Galas, die Salons, die Scenen des
	        
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