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XXXVII.
ENGLAND
einer weichen, an den Dresdener Hofmann erinnernden Empfindungs-
weise, und das Ergebniss ist eine sanfte ad usum Delphini zurechty
gemachte Classicität, die, auf den Beifall der Künstler verzichtend,
umsomehr dem Geschmack der vornehmen Damenkreise entspricht.
Seine Hauptwerke, der Stern von Jerusalem, Orphetis und Eury-
dike, David und Jonathan, Elektra am Grabe Agamemnons, Daphne-
phoria, Venus Anadyomene u. dergl. gehören zu den vornehmsten,
aber kühlsten Schöpfungen der gegenwärtigen englischen Kunst.
Selbst seine Phryne ist eine Lady ohne verführerischen Reiz; nichts
verräth die Hetäre, sie könnte ebensogut eine Juno bei der Bade-
toilette darstellen und wurde von ihrem Vater gezeugt, während er die
polykletischen Schönheitsregeln memoriite. Die gefangene Andromache
am Brunnen 1888 war vielleicht die Quintessenz dessen, was er an-
strebt. Die Hintergrundscoulisse bildet der Hof eines antiken Palastes,
WO Sklavinnen zum Wasserholen versammelt sind. Als Hauptactrice
im Mittelpunkt der Bühne steht Andromache, die den Krug vor sich
gestellt hat und würdevoll wartet, bis die Sklavinnen ihre Arbeit
beendet haben. Dies Wasser-schöpfen gibt Leighton Gelegenheit,
eine Szunmltmg schöner Posen zu vereinen. Die Wittwe Hectors
drückt mit Decenz einen ltöniglichen Schmerz aus; die Amphoren-
trägerinnen gehen und stehen, wie es die griechischen Vasenbilder
verlangen, aber nicht mit jener Sicherheit der Linie, die sich aus
der wirklichen Beobachtung des Lebens ergibt. In seiner stilvollen
Noblesse, seiner edlen Anordnung und Reinheit der Linien, die vor-
nehm aber unpersönlich die Formen umschreiben, ist das Bild ein
trockenes, abgezirkeltes Werk von der Kälte des Marmors und
porzellanerner Glätte. xHCYCLIlCS, der mit dem Tod um den Körper
der Alcestis kämpfte, könnte ein griechisches Sarkophagrelief sein,
so wohlabgewogen sind Massen und Linien. Die Pose der Alcestis
ist vornehm wie die der Parthenonnymphen, nur wiire sie nicht
so fein, wenn diese nicht existirten. Seine sMLISllQlCCIiODK von
1877 ist liebenswürdig und sein xElias in der ÄVüstea hat Allüre.
In seinen Fresken des South-Kensington-Museums gibt er ein
wahres Compenditim schöner Bewegungsmotive. Das Auge verweilt
gern auf diesen halbnackten, halb von Gewändern tunflosseneii
Weiberkörpern, bemerkt aber auch an diesen Schöpfungen, dass sie
sich aus Wissen und künstlerischen Reminiscenzen aufbauen; das
Leben fehlt ihnen, da ihr Meister selbst sich aufgab, um nur noch
mit den Organen eines todten Griechen zu fühlen. Leightons Farbe