XXXVI.
ITALIEN
Ausser Segantini will keiner dieser Maler verrathen, dass es
in seiner Heimath auch arme, unglückliche Leute gibt. Noch
immer lacht ein ewig blauer Himmel über Italien, noch immer
herrscht eitel Sonnenschein und Lebensfreude in den italienischen
Bildern. Arbeit gibt es im sonnigen Italien nicht und trotzdem
keinen Hunger. Selbst da, wo gearbeitet wird, sind nur die schönsten
Mädchen der Lombardei vereinigt, die lachend und scherzend am
Strande knieen, und der Wind spielt kosend mit ihren Kleidern.
Besonders gern zeigen sie sich bei der Toilette, im Mieder, die
Füsschen in zierlichen Pantöifelchen, die nackten Arme empor-
gehoben, um das goldrothe Haar zu ordnen. Gewöhnlich aber thun
sie gar nichts, sondern lächeln dich an mit ihrem verführerischsten
Lächeln, das die perlweissen Zähne zeigt, und mit dem sie jeden
dummen Teufel bestricken, der nicht ahnt, dass sie so schon seit
Jahren lächeln und mit dem am meisten, der am besten zahlt
j'aime les hommes parceque j'aime les trufes. Die Bilder sind fast
durchgängig Arbeiten, die sehr wohl ihren Besitzer erfreuen können,
doch nur selten zu kunstgeschichtlichen Erörterungen einladen.
Trop de Marchandise heisst es im Pariser Salon gewöhnlich beim
Anrücken der Italiener. Eigentliche Pioniere, ernst vorwärts gehende,
anregende Geister gibt es unter ihnen wenig. Die Kernfragen der
Freilichtmalerei, des Impressionismus und Naturalismus interessiren
sie nicht im Geringsten. Eine muntere, gefällige und naiv selbst-
gefällige Technik bildet in den meisten Fällen den einzigen Reiz
ihrer Arbeiten. Man fühlt sich kaum in der Stimmung, nachzusehen,
von wem das Bild ist und ob die Schöne, sie war die erste nicht
die im Vorjahr Ninetta hiess,_hcute sich Lisa nennt. Die Meisten
machen ihre Bilder, wie Geldstücke geschlagen werden oder wie die
plastischen Arbeiten in Italien entstehen, die so viele Auflagen er-
leben. Wie nirgends schönere Spitzen gemeisselt werden, so malen
die Maler so virtuos wie nur irgendwo die gleissende Pracht der
Atlas- und Sammetstoife," den glitzernden Glanz der Geschmeide und
schöner Frauenaugen sternenhaftes Funkeln. Nur weiss man, wie
die Marmorarbeitcn, auch die Bilder auswendig, sobald man sie ein-
mal gesehen, weil schon der Maler sie auswendig wusste. Ueberall
Zeugnisse von Talent, Fleiss, Können und Geist, aber dem Geist
fehlt die Seele, den Farben das Leben. So viele brillante Töne
nebeneinander stehen, ist doch weder ein feiner Ton, noch der
Eindruck der Naturwahrheit erzielt.