EINLEITUNG.
welche die zu beurtheilendelm Phänomene der Vorzeit selber an die
Hand geben, von derselben ein Bild zu schaffen, als sie durch das
verschieden gefärbte, und wohl auch zuweilen Vergrössernde
oder verkleinernde Glas einer Weltanschauung zu besehen, die,
einige Jahrhunderte jünger, deshalb auch nimrnermelur allgemein
und objectiv sein und daher nur ein Zerrbild des Gegenstandes,
im Lichte einer veränderten Anschauung, zu Tage fördern ltann.
Das vorzügliche Werk J. Burckhardfs hat diesen Standpunkt
für die Erörterung der Cultur-Verhältnisse in der italienischen
Renaissance im Allgemeinen festgehalten, anders verhält es sich
noch auf dem Felde der Kunstgeschichts-fiorschung, wo wir
uns hüten wollen, Producte zu erzielen, welche mehr cultur-
historische und kunstphilosophische Romane als objective Ge-
schichtschreibung sind.
Des Weiteren wohnt dem Tractate Biondds ein besonderer
Werth aus dem Grunde inne, Weil er für die Kunstgeschichte
seines Heiinatsortes der älteste eigentliche Kunstschriftsteller ist,
den wir kennen. Wenn daher Zanetti in seiner Schrift: Della
pittura Venetiana in der prefazione, pag. XII, als die ersten
Autoren, welche von Venezianischen Künstlern geschrieben haben,
Vasari und Ridolfi nennt, an welche er sodann Boschini an-
schliesst, so scheint ihm wie auch aus dem Buche hervor-
geht unser Autor nicht bekannt gewesen zu sein. Da aber
selbst des Vasari vite erst ein Jahr nach dem Erscheinen un-
seres Tractates in Florenz herauskamen und Biondo in diesem
auch von einigen Malern, deren Wiege nicht in der Lagunen-
Stadt gestanden, handelt, so dürfte dieser Umstand das Interesse
für seine Notizen zu erhöhen geeignet sein. Nach Biondo ist
Wohl Lodovico Dolce der nächste, der über die Künstler
Venedigs geschrieben, sein Dialogo della Pittura, intitolato
PAi-etino, erschien acht Jahre nach dem Werke Biondo's.
Ich habe in meinem Schriftchexi über Francesco Colonna's
l-Iypnerotomachia (Wien, Braumüller 1872, pag. 12.) den Ver-
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