188
EXCURS
aber zum ersten Male mit bedeutender künstlerischer Kraft eine
entsprechende neue Richtung an die Stelle verblasster Tradi-
tionen setzte. Descamps sagt: "Die Wahrheit, mit Welcher
jeder Gegenstand wiedergegeben, zeigt, dass er (Jan) die Ge-
wohnheit gehabt, nach der Natur zu malen". Und die Grab-
schrift, welche zum Verdrusse aller Vertheidiger Vasarfs von
der Erhndung der Oelmalerei nichts mittheilt, trifft dagegen
völlig das Richtige, wenn sie an dem Meister hervorhebt:
„Spirantes formas et humus Horentibus herbis
Pinxit, ed ad vivum quodlibet egit opus."
Darin erkannten die Mitlebenden schon die Bedeutung,
die Stärke der neuen Malweise, die echt germanische Liebe zur
Natur rief in Allen zugleich denselben Funken wach, den das
bisherige Bannurtheil über alles Seiende in Fesseln gehalten
hatte. Dass diese epochemachenden Schöpfungen nun nebenbei
auch allerdings in Oel ausgeführt wären, Wusste man freilich
damals wie heute, schwerlich aber fiel einem Sohne des 15.
Jahrhunderts ein, die Ursache dieses gesarnmten frischen, feu-
rigen, das lebendige so glücklich gebenden Colorits im Binde-
mittel zu suchen.
Denn dieses braucht zu dem Zwecke nicht einmal Oel zu
sein. Blanc (loc. c.) sagt z. B.I „ln der That Wussten die alten
venetianischen Maler durch Abreiben der Farben mit Wasser
und Leim oder Gummi, eine Entschiedenheit des Tones, eine
Wärme und Kraft zu erreichen, welche über die Natur ihres
Vorganges täuschen könnte und wirklich Fachleute sowohl als
Kenner irregeführt hat." Einen solchen Fall, ein Gemälde
Bellinds betreffend, schildert Zanetti (della pittura Veneziana);
Veronese unter den ältern, Marko unter den Modernen brach-
ten gerade die glühendsten, leuchtendsten Eilecte und tiefesten
Farben mittelst Tempera hervor, nicht mit Oel; und selbst
von dem ersten Virtuosen des Colorites, Tizian, ist dasselbe
bekannt, wie Ridolü I, p. 137 meldet. Decarnps in Frankreich,
sowie manche Engländer wandten die Gouachefarben mit tiefer
Kraft und höchst feurig an (Selvatico, antol.), somit ist es nicht
die bei den van Eyck allerdings gebrauchte Oeltechnik,
welche deren Arbeiten, in Folge ihrer Wirkung, so hohes Lob
einbrachte, nach dem lsoeben Angedeuteten hätte also Tempera