ZRLÄUTERUNGEN.
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Sollte diese liebliche, poetische Weise, wie der Maler am
hohen Sommermorgen im freien Gefilde sich die Blumen zu
seinen Farben pfiückte, nicht vielleicht in einem sehr natürlichen
Zusammenhang mit der vielbeliebten Anbringung von Blumen
in den Miniaturen späterer Zeit stehen? Die Verzierungsweise
dieser Malereien selber, die stylistischen Ornamente, heissen
Hores, Hosculi, die Arbeit deHorare und in den livres d'heures
namentlich ist eine ganze MaiHur auf das Pergament gezaubert,
wie das sonst selten vorkommt (denn die Tafelbilder der alten
Niederländer mit ihrem Blumenschmuck beruhen, was dies
betrifft, wieder nur auf der älteren französischen Miniatur-
malerei). Ich glaube nicht, dass hiebei der ldeen-Association ein
zu grosser EinHuss beigemessen sei.
Diejenigen cap. des Heraclius, welche Miniaturmalerei
betreffen, scheinen dem damals bereits mächtigen Einfluss von
Byzanz zugeschrieben werden zu müssen. Der wilde, formlose
Styl der Langobarden hatte schon im 7. Jahrhundert durch
dieses Element Einbussen erlitten (Rumohr, it. F. I. 186
und verlor sich gänzlich, als im Verlauf des Bilderstreites, also
im folgenden Saeculum, immer mehr griechische Künstler in
Italien Aufnahme fanden und daselbst an Mosaiken und Minia-
turen arbeiteten. Was nun die letzteren anbelangt, so ist
bekannt, dass merkwürdigerweise im 9. und I0. Jahrhundert,
d. i. also in der Periode unseres Tractates, der Styl der Bücher-
malerei eine beachtenswerthe Renaissance erfährt und auf die
spätrömischen Werkedm antiken Charakter zurückgeht. Hieher
gehören die prachtvollen Codices der kaiserlichen Bibliothek in
Paris (YVaagen, Kunstw. und Künstl. in Paris, p. 201 FR), in
welchen Formen und Erlindungen des 5., 6. Jahrhunderts
beinahe copirt sind. Wenn wir nun unser prooemium wieder
erwägen, so sehen wir darin die Schreibekünste gleich vor
allen hervorgehoben und im Zusammenhang hiernit nach der
Klage über das Sinken der römischen Herrlichkeit sogleich auch
auf die alten Meister Bedacht genommen, deren Künsten eine
Wiederbelebung gewünscht wird. Da wir aber von vorchrist-
lichen Miniaturen nichts wissen, so kann nicht allgemein auf
die antikrömische Grösse hingezielt sein, sondern es hat der
Verfasser jene schöne Blüthe der Miniaturmalerei in jenem 5.,