andere Gruppe trägt Alexanders Lanze. Auch ein Kind ist da,
welches sich des Kriegers allzuschweren Panzer anlegte, unter
dem Gewichte desselben auf die Erde fiel, und nun zu weinen
scheint. Alle haben ein selbsteigenes Wesen an sich, zeigen
verschiedene Stellungen, und sind durchgehends hübsch. In
dieser Composition hat Rafael gleichzeitig der Geschichte, der
Angemessenheit und der Sitte genügt, und ausserdem so zu
sagen als stummer Dichter, die Erfindung seines Hymens, und
der Kinder, aus Eigenem geschöpft.
Fab. Es ist mir erinnerlich, diese Erfindung schon im
Lucian vorgefunden zu haben.
Aret. Sei es, wie es wolle: sie ist im Bilde so vortrefflich
zum Ausdrucke gebracht, dass man wahrhaftig zweifeln könnte,
ob sie Rafael aus Luciaxfs Werken, oder Lucian aus Rafaels
Bildern genommen habe, wäre nicht die Thatsache vorhanden,
dass Lucian um mehrere Jahrhunderte vor Rafael lebte. Doch
was schadet das? Auch Virgil beschrieb seinen Laocoon so,
wie er ihn früher an der Statue der drei Bildhauer von Rho-
dus 1) gesehen hatte, die noch heute in Rom die staunende Be-
wunderung aller erweckt. Es ist ohnehin eine gar oft wieder-
kehrende Thatsache, dass sich Maler ihre Erfindungen bei
Poeten, und diese dafür die ihrigen bei Malern holen. Das Näm-
liche könnte ich hier in Betreff seiner schönen Galatheai), die
1) Die Loacoongruppe, entworfen und ausgeführt von den rhodischen
Bildhauern Agesander, Athenodorus und Polydoros befindet sich bekanntlich
im Cortile des Belvedere im Vatican. Die Laocoonsgruppe beschäftigte
nicht blos Künstler und Gelehrte, sondern auch Dichter. Siehe "Stanze
Eurialo d'Asc0li sopra le Statue Laocoonte, di Venere, et d'Apollo. A1
Gran Marchese del Vasto" Stampate in Roma, in Campo di Fiore, per M.
Vallerio Dorico et Luigi Fratell Bresciani. A" di XX di Giugno MDXXXIX.
In dieser Ausgabe finden sich Holzschnitte der Laocoongruppe und des
Apollo vom Belvedere, die wenig bekannt sind.
2) Die Galathea, Freskobild in der Farnesina, gemalt zwischen 1512
und 1514; in Kupfer gestochen von Marc Anton, Bartsch P. G. XIV. n. 350.