Volltext: Aretino oder Dialog über Malerei

Stadt mit der Besichtigung der Vorbereitungen beschäftigt ist, 
wäche zum Empfange der Königin von Polen 1), die heute hier 
einziehen soll, gemacht werden. Zunächst behaupte ich, dass 
im Menschen die Urtheilskraft im Allgemeinen aus der Erfah- 
rlJng 
und 
dem 
Vertrautwerden 
mit 
den 
Dingen 
entsteht. 
Da 
nun dem Menschen nichts vertrauter und zugänglicher als der 
Mensch ist, so folgt daraus, dass Jedermann im Stande ist, über 
das, was er täglich sieht, d. h. über die Schönheit und Häss- 
lichkeit von irgend welchem Menschen sich ein Urtheil zu bil- 
den. Denn die Schönheit ist nichts Anderes als das Resultat 
der richtigen Proportionen, welche gewöhnlich dem mensch- 
lichen Körper sowohl im Ganzen, als auch den einzelnen seiner 
Glieder untereinander eigen sind, während die Hasslichkeit aus" 
dem Gegentheile entsteht. Da nun die Beurtheilung dieses Eben- 
maasses dem Auge anheimfällt, so frag' ich: wer sollte da nicht 
das Schöne vom Hässlichen unterscheiden? Gewiss Niemand, 
sobald ihm nicht Augenlicht und Verstand vollständig abgehen. 
Hat aber der Mensch, wie er sie auch thatsächlich hat, eine 
solche Kenntniss der wirklichen Form, die unser Individuum, 
d. h. die der lebende Mensch aufweisen soll; warum soll er 
sie nicht auch in noch höherem Grade von der nachgeahmten 
und todten Form, was eben die Malerei ist, haben? 
Fab. Möglicherweise, lieber Freund, werden die Maler 
darauf erwieclerni sie bestritten durchaus nicht, dass die Natur, 
die Gesarnmtmutter aller geschaffenen Dinge, so gut sie allen 
Menschen ein gewisses Verständniss des Guten und des Bösen 
verlieh, sie das auch bezüglich des Schönen und des Hässlichen 
gethan habe; dass aber in derselben Weise, als zur eigentlichen 
und genauen Kenntniss des Guten und des Bösen, Gelehrsam- 
I) Bona Sforza, Tochter des Giovanni Galeazzo Sforza, Herzogs von 
Mailand, und der Isabella von Arragonien, Gemalin Sigismund 1„ Königs von 
Polen, kam nach Venedig im Jahre 1555 und starb daselbst 1558.
	        
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