Volltext: Aretino oder Dialog über Malerei

Tizian zusammenwarf, da es doch viele bedeutendere Maler, 
als diesen gab, welche trotzdem in Wirklichkeit nicht ver- 
dienen, mit diesen beiden Letzteren verglichen zu werden. 
Immerhin verhindert ein solches "Sündlein" (um mit den Spa- 
niern zu sprechen) nicht, dass Ariost, jener herrliche Dichter, 
als Welchen ihn die ganze Welt anerkennt, gewesen sei; denn 
das sind Dinge, die nicht zur Aufgabe eines Poeten gehören. 
Ebenso wenig soll damit behauptet werden, dass Bastiano kein 
recht tüchtiger Maler gewesen sei: doch kommt es gar oft vor, 
dass ein Edelstein, oder irgend eine andere Sache, für sich allein 
betrachtet, sehr hübsch, mit anderen jedoch verglichen, minder 
hübsch erscheint und an Werth verliert. Ausserdem ist es aller 
Welt bekannt, dass Michel Angelo ihm die Zeichnungen anfer- 
tigte; wer sich aber mit fremden Federn schmückt, gleicht, 
einmal derselben entkleidet, dem von Horaz lächerlich gemachten 
Raben. Noch erinnere ich mich daran, dass, als Bastiano von 
Michel Angelo zur Concurrenz mit Rafael gedrängt wurde, 
mir Rafael zu sagen pflegte: „Wie freue ich mich doch, mein 
lieber Pietro, dass Michel Angelo diesen meinen neuen Rivalen 
was in den venetianischen Ateliers, in den Kreisen Tizian's unid Aretinds 
gesprochen wurde. Man muss sich erinnern, dass der Dialog des Dolce in die 
Zeit nach der Reise Tizian's nach Rom fallt. Tizian ging im October 1545 
nach Rom und malte daselbst 1546 die Danae. In einem Schreiben vom 
6. August 1527, dto. Venedig, empfiehlt ihn Aretino dem Marchese di Mantua 
als einen „pittore miracoloso". Bekanntlich lehnte Tizian mit Rücksichtnahme 
auf Sebastiano jede Begünstigung seines Sohnes, so wie seiner eigenen Person 
ab, und ging nach Venedig zurück. Aber in venetianischen Künstlerateliers 
scheint viel gesprochen worden zu sein über die Aufnahme, die Tizian in 
Rom fand, speciell über sein Verhältniss zu Michel Angelo und Sebastiano 
del Piombo. Vasari und Dolce sind Zeuge dessen. Dolce's Bemerkungen 
erläutert ausführlich Crowe und Cavalcaselle, l. c. II., p. 329. Ueber die 
Beziehungen zu Michel Angelo s. Herm. Grimm "Leben Michel Angelds". 
Die Worte, welche Aretino dem Rafael in den Mund legt, können mit Rück- 
sichtnahme auf eine bestimmte Zeit, nach Passavants Ansicht, wohl von 
Rafael gesprochen 
worden sein.
	        
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