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die Schlingen der YVeiber zu fliehen, und bei dieser Gelegenheit von der
Prachtliebe und den Lastern der Frauen ein so herrliches und Vollendetes
Bild entwirft, dass es ohne Frage die YVunder Eures göttlichen Genius zu
übertreffen im Stande ist. Denn wenn die Bildnisse, welche aus der Vollen-
dung der Kunst hervorgehen (welche Euch allein eigen ist,) sich soweit dem
Wirklichen nähern, dass die Natur müssig sein könnte, wenn diese Athem
hatten, so fehlt ihnen eben doch das Leben. In jenem Gemälde jedoch, von
welchem ich rede, wird man nicht allein die Achnlichkeit des Wirklichen
und des Lebens gewahr, sondern dies Wirkliche und das Leben selber.
Hievon habe ich ein Beispiel gesammelt und zusammengewoben, so gut ich's
wusste und konnte, das übergebe ich Euch jetzt zu dem Zwecke, damit Ihr
sehet, ob die guten Schriftsteller die Geheimnisse des Gemüthes mit der
Feder ebensogtit schildern können, als die guten Maler mit dem Pinsel das-
jenige, was sich dem Blicke darbietet, oder ob sie nicht doch im Wettstreite
mit Euch (der-Ihr der allerwürdigste seid) bei Weitem fibertroffen werden.
Sollte es Euch dann aber scheinen, dass darin mancher nicht völlig ehrsame
Zug sei, der nicht in ganz deutlicher Weise der Mehrzahl der Männer ge-
olTenbart werden kann (denn von den Frauen braucht man nicht zu besorgen,
dass sie das Gemälde schauen wollten), so verdecket ihn und entfernt den
Macke], wenn man von Mackel sprechen kann bei der Reinheit und
Schönheit Eurer Farben.
Padua,
Octobex
1538.
Lodovico
Dolce.