Volltext: Aretino oder Dialog über Malerei

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als komme er von der Venus, voll glühendem Verlangen zur Jagd zu ziehen. 
In der einen Hand hält er den Jügerspiess; um den andern Arm ist auf 
meisterhafte Weise die Leine der Hunde gebunden, welche zu dreien in ver- 
schiedenen Stellungen dargestellt sind, von so schöner Form und so natur- 
wahr gemalt, dass sie zu wittern und zu bellen scheinen, voll Begier, irgend 
ein Wild anzufallen. Der Jüngling ist mit einem kurzen, bis auf die halben 
Beine reichenden Gewand bekleidet, hat die Arme nackt, ist mit zwei sehr 
wahr gemachten engen Stiefeln beschuht, daran einige sehr schöne Schnüre 
von Perlen befestigt sind, welche funkeln und wie orientalische aussehen. Er 
wendet sein Antlitz der Venus zu, mit heiteren, lachenden Augen und öffnet 
lieblich die Lippen, welche wie Rosen oder schier wie Corallen aussehen. 
Er scheint mit fröhlichem und verliebtem Gekose sie zu mahnen, dass sie 
Ohne Furcht sein möge, daher sich in seinem unbewölkten Blick und der 
Bewegung des Mundes deutlich die innerste Seelenstimmung offenbart, völlig 
so gut als Worte es können. Auch weiss man sich nicht zu entscheiden, 
welcher Theil an ihm am schönsten sei, indem ein jeder insbesondere, sowie 
alle zusammen die Vollendung der Kunst enthalten; das Colorit wetteifert 
mit der Zeichnung, die Zeichnung mit dem Colorite. Wer aber im Colorit 
mangelhaft ist, der möge sich keinen Maler nennen, denn es genügt nicht, 
den Figuren durch ausgezeichnete Zeichnung Form zu verleihen, wenn dann 
die Töne der Farben, Welche das Fleisch nachahmen sollen, etwas porphyre- 
nes und erdiges haben und jener Verschmelzung, Zartheit und des Lebens 
entbehren, wie die Natur es an den Körpern zu machen weiss. Darum liest 
man in den Geschichten der antiken Maler, dass einige von ihnen die Vögel, 
andere die Pferde tauschten. Ihr wisset aber dass, ebenso wie dem Tizian an 
Trefilichkeit der Zeichnung Niemand überlegen ist, man der sichern Meinung 
ist, dass bezüglich des Colorites desgleichen Keiner ihn erreichte. 
Doch wir gelangen zur Venus. An dieser gewahrt man einen über- 
irdischen Geschmack, denn er hat in ihr eine Göttin gemalt, die sich dem 
Geiste in aussergewöhnlicher Schönheit darstellt, kurz, um mit Einem Worte 
es zu bezeichnen, eine Schönheit, wie sie der Venus zukommt, auf dass sie 
Derjenigen gleicht, welche auf dem Ida den goldenen Apfel verdienen würde. 
Da gibt es zahlreiche Dinge zu nennen, die alle wunderbar und himmlisch 
sind; ich aber erdreiste mich nicht, dieselben mir nur vorzustellen, geschweige 
zu beschreiben. Venus ist vom Beschauer abgewendet, nicht durch einen 
Fehler in der Kunst, wie es sonst ein Maler gemacht haben würde, sondern 
um doppelte Kunst zu beweisen. Indem sie nämlich das Angesicht nach dem 
Adonis hinkehrt, sich anstrengt, ihn mit beiden Armen zurückzuhalten, halb- 
sitzend auf einem weichen dunkelvioletten Tuche, zeigt sie durchaus süsse 
und lebhafte Emptindungen, so zwar, dass man dieselben anders nicht als an 
ihr eben wahrnehmen kann. Hiebei ist auch die Gewissenhaftigkeit dieses 
göttlichen Meisters zu bewundern, _in Folge deren man an dem unteren Theile 
die Zusammenquetschung des Fleisches, welche durch das Sitzen verursacht 
ist, erkennen kann. Aber man muss der Wahrheit gemass sagen, dass hier 
alle Schuld, die der Pinsel hat, nur diejenige ist, welche die Natur mit ihren 
Händen zu verursachen pflegt. Der Ausdruck ferner ist von der Art mit den
	        
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