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dort gemacht werden, wo es möglich wäre, die Natur
zu übertreiben, sondern da, wo er Dinge malt, die
keine Farbe auf Erden jemals überbieten oder er-
reichen kann, wie z. B. in seinen Sonnenuntergängen
und oberen Wolken. Ich meine die höchste Region,
die ausschließlich durch eine Menge weißer, stiller
Wolken charakterisiert wird, die sich in Balken,
Streifen und Flocken teilen. Mit dieser Region hat
sich vor Turner kein Landschafter befasst außer
Rubens. Bis jetzt haben wir nur von der Wirkung
gewöhnlichen Tageslichts auf gewöhnliche Farben ge-
sprochen. Und selbst diese erreicht keine Pracht der
Palette. Es ist aber etwas andres, wenn die Natur
selbst der Laune folgt, farbig zu sein, und etwas un-
gewöhnliches leistet, etwas woran sie ihre Macht
wirklich offenbart. Sie hat tausend Mittel und Wege,
über sich hinauszusteigen, aber ihre höchsten Farben-
möglichkeiten oEenbart sie in diesen Sonnenunter-
gängen unter den oberen Wolken. Besonders in dem
Augenblick, ehe die Sonne sinkt, wo ihr Licht rein
rosenrot erscheint und sich über einen Zenit ergießt,
der mit zahllosen Wolkengebilden von kaum wahr-
nehmbarer Zartheit erfüllt ist, von Dunst, aufgelöst
in Fäden und Garben, die im gewöhnlichen Tages-
licht schneeweiß wären und daher dem Ton des
Lichts vollen Spielraum gewähren. Es gibt hier
keine Grenze für die Menge und keinen Einhalt für
die Intensität der in Frage kommenden Farben. Der
ganze Himmel vom Zenit bis zum Horizont. ist