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und aus gekrümmten Kurven gebildete Wolke ent-
decken. Wer aber nur gerundete Wolken malte,
würde für durch und durch unwahr und falsch gel-
ten müssen.
Anders liegt die Sache, wenn ein Naturprinzip nicht
übertreten, sondern nur ungewöhnlich behandelt wird.
Obwohl die Natur immer schön ist, entfaltet sie ihre
höchste Schönheit nicht überall. Sie will uns nicht
übersättigen, um unseren Sinnen nicht schal zu erschei-
nen. Ihre höchsten Offenbarungen sind selten. Ihre
feinsten Züge wollen erspäht sein; wo sie sich am
vollkommensten zeigt, geht sie am flüchtigsten vorüber.
Sie schafft immer neu; und eine Schönheit, die sie
nie zuvor geschaffen und nie wieder schaffen wird.
Sie erweist ihre allgemeinen Kräfte immer an Be-
sonderheiten, die uns nie wiederkehren, wenn wir
sie nicht im Vorübergehen festzuhalten wissen. Diese
flüchtigen Vorgänge vollkommener Schönheit und
höchster Machtentfaltung sollte der Künstler suchäen.
Wie töricht ist es, vorauszusetzen, ihre wiederkehrenden
Wirkungen wären charakteristischer für die Natur als
jene seltenen Phänomene. Beide sind Teile des-
selben großen Systems. Stets dieselbe Wirkung oder
Wahrheit wiederholen, heißt Leben verschwenden.
Was wäre ein Dichter, der lebenslang denselben Ge-
danken in andern Worten wiederholte? Weshalb
nachsichtiger sein gegen den Maler, der eine Seite
aus dem Buche der Natur gelernt hat und sie wie
ein Papagei ewig wiederholt, ohne die Seite umzu-