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seine machtvollen Augenblicke nicht erschaut haben.
Es ist endlich möglich, die geheimnisvollen, hohen
Wirkungen des Geistes darzustellen. Das dünkt nur
denen ähnlich, deren Wachsamkeit dies offenbart ist.
Alle Darstellungen sind wahr. Aber je nach der
Würde der Wahrheit, die er empfinden und lver-
anschaulichen kann, bewertet sich das Können des
Künstlers, wie das Rechtsprechen des Richters.
DIE
ÜBER
RELATIVE
BEDEU-
DER WAHRHEITEN
TUNG
[Im Anschluss an Locke erhärtet Ruskin zunächst,
der damaligen Anschauung entgegen, dass für künst-
lerische Darstellung das Charakteristische, die be-
sondere Wahrheit wichtiger sei, als allgemeine Wahr-
heiten.]
Das Charakteristische einer Sache ist das, was
seine Gattung bestimmt und was es zu dem
macht, was es ist. Nicht der Stoff von Seide oder
Flachs macht die Draperie zur Draperie, sondern die
mit Draperie verbundenen Vorstellungen. Die einem
Ding inhärenten Eigentümlichkeiten, wie Ausdehnung,
unelastische Beweglichkeit, Einheit und verhältnis-
mäßige Dünne machen es zur Draperie. Dahin gehört
z. B. ein Wasserfall, der in einem Guss breit her-
niederstürzt; ein Netzwerk von Unkraut, das an einer
Mauer herabhängt. Nur dies bestimmt das Wesen
der Draperie. Und das gilt von allem sonst. Was
eine Sache zu dem macht was sie ist, ist die wich-