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kanntschaft mit ihrer Naturumgebung richtet sich nach
den Dingen, mit denen die Menschen sonst geistig
beschäftigt sind; sie beruht aber auch auf mangeln-
dem Feingefühl für die Macht der Form und anderer
Attribute äußerer Schönheit. Ich glaube nicht, dass
das Auge absolut unfähig wäre, Formen aufzufassen
und zu genießen, wenn es sie überhaupt bemerkte.
Obwohl der geringste Grad dieser Fähigkeit sich aus-
bilden und unendlich steigern ließe, lohnt den meisten
Menschen der Genuss nicht die dazu erforderliche
Anstrengung, und sie geben ihr Streben auf. Wessen
angeborene Sensationen fein und lebendig sind, dem er-
tönt der Ruf der äußeren Natur so vernehmlich, dass
er sich Gehör erzwingt, und lauter, je näher er ihr
tritt. Wessen angeborene Sensationen stumpf, dem
wird ihr Ruf übertönt durch ablenkende Gedanken,
und seine ohnehin schwache Aufnahmefähigkeit stirbt,
weil er sie brach liegen lässt. Mit dieser physischen
Sensibilität für Form und Farbe eint sich jene höhere
Sensibilität, die wir als eins der Hauptattribute aller
hohen Naturen und als Urquell aller Poesie bewun-
dern. Diese Feinfühligkeit geht völlig in die Fein-
heit der Sinneswahrnehmungen über; sie verschmilzt
sich mit der Liebe, mit jener unendlichen Liebe gött-
licher, menschlicher und animalischer Energien, die
die sinnliche Wahrnehmung äußerer Dinge durch As-
sociationen, durch Ehrfurcht und Dankbarkeit und
alle anderen reinen Empfindungen unserer moralischen
Natur adelt.