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möglich, weil die Seele sich an etwas erlabt,
einem ausschließlich sinnlichen Reiz ähnelt.
das
Wir
können naturalistisch dargestellte Tränen als Ausdruck
der Kunst oder der Qual betrachten, wie es uns
beliebt, aber als beides zugleich können sie nicht auf
uns wirken. Wenn wir sie als das eine bewundern,
können wir nicht zugleich von ihnen gerührt werden.
Vorstellungen der Nachahmung sind zweitens ver-
ächtlich, weil sie nicht nur den Beschauer hindern, die
innere Schönheit des Gegenstandes zu genießen, son-
dern auch weil sie nur von gemeinen und verächtlichen
Dingen ausgehen; denn etwas wahrhaft Großes kann
gar nicht nachgeahmt werden. Eine Katze, einen
F iedelbogen kann man zum greifen ähnlich nachahmen;
nicht aber das Meer und die Alpen. Früchte können
wir nachahmen, aber keinen Baum; Blumen, aber
keine Wiese; geschliffenes Glas, nicht aber den
Regenbogen. Alle Bilder daher, die in untergeordneten
Einzelheiten wie Stoffe, Juwelen, Möbel Täuschung
bezwecken, sind Ausdruck der Nachahmung.
Diese Vorstellungen sind drittens verächtlich, weil
keine Vorstellung des Könnens mit ihnen verbunden
ist. Dem Unwissenden mag die Nachahmung
schwierig und ihr Erfolg rühmlich erscheinen, weil
er im Künstler auch nur einen Taschenspieler erblickt,
der ihm seltsame Dinge vorgaukelt. Dem Wissenden
erscheint aber der Taschenspieler der ehrenwertere
unter beiden. Er weiß, dass Taschenspielerei eine
schwieriger zu erlernende Kunst ist und mehr Genie