309
Rafael üblich waren. Ich besinne mich auf keinen
nackten Engel, der nicht knabenhaft, kindisch oder
unvergeistigt wirkte. Selbst Fra Bartolommeos Engel
könnte man auf den Bildern in Lucca entbehren.
Später ist der Himmel förmlich bedeckt mit stram-
pelnden Säuglingen. Die von Domenichino in der
Madonna del Rosario und dem Martyrium der heili-
gen Agnes sind besonders verletzend: Studien nackt-
beiniger Kinder, die heulen und sich in Rauchsäulen
wälzen. Bei den späteren Malern herrscht volle Kon-
fusion zwischen Engeln und Amoretten. Symmetrie
und Ruhe sind für übersinnliche Erscheinungen von
besonderem Wert. Sie werden von allen großen
Malern gesucht, und z. B. in Anordnung des Haares
berücksichtigt. Es darf weder flattern noch wallen,
nur in regelmäßigen Locken fallen; oft, wie bei dem
Jesuskinde von Fra Angelico, ist es an der Stirn in
skulptureller Strenge gefasst. Masaccios Engel in
Petri Befreiung, groß in Zügen und Bewegung, ver-
liert an Übersinnlichkeit, weil der Maler etwas zu
viel von seinem eigenen Charakter in
legt und es nicht geordnet hat.
Von der erhebenden Macht der Ruhe
das
Haar
habe
ich
für
jetzt genug gesagt, obwohl ich ihre christliche Bedeu-
mng im Gegensatz zum heidnischen Ideal nicht
hervorgehoben habe. Doch kenne ich keine antike
Statue, deren Züge Erhebung der Seele ausdrückten,
oder ein einziges enthusiastisches, selbstverleugnen-
des Verlangen; noch weniger eine Wahrheit der Em-