295
Loredano vor der Madonna. Er faltet seine mächti-
gen Schwingen in wolkenhafter Ruhe zusammen, aber
man spürt noch die Gewalt der Meerwinde in ihrem
Gefieder.
Ich gehe hier nicht auf die Frage ein von dem ge-
nauen Grade an Strenge und Abstraktion, welche die
Form lebender Dinge in architektonischer Anwendung
erheischt . . .
Obwohl ich es nicht als Prinzip hinstellen kann, da
der Parthenongiebel gegen mich gerichtet ist wie
Ajax Schild scheint mir persönlich keine genaue
Darstellung tierischer Form als architektonische De-
koration zulässig. Ich sehe viel lieber die Metopen im
Elginsaal des Britischen Museums, und das Parthe-
non ohne sie, als beides vereint. Vom architektoni-
schen Gesichtspunkt aus wiirde ich nicht eine mäch-
tige Linie der kolossalen, stillen, lebendig-toten Felsen-
statuen Ägyptens, mit den schmalen, starren Augen,
den Händen auf den steinernen Knien nicht eine
romantische Fassade mit ihren Porphyrmosaiken un-
deiinierbarer Ungeheuer nicht einen gotischen Sims
herber Heiliger und grinsender Kobolde für zehn
Parthenongiebel hergeben. Ich könnte einige Gründe
für diese scheinbare Barbarei vorbringen, wenn dies
der Ort wäre. Jetzt kann ich den Leser nur bitten,
die Wirkung der sogenannten barbarischen Mosaiken
der Fassade von St. Marco, wie sie uns zum Glück
die Treue des guten Gentile Bellini in einem seiner
Bilder jetzt im Venezianischen Museum auf-