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z. B. seine Lieder wie ,Ueber allen Gipfeln ist Ruh';
und seine Gedichte wie J-Iarzreise im Winteri
Heines: ,Im Rhein, im heiligen Strome, da spiegelt
sich in den Wellen' ist durchweg Ausdruck von
Fantasie der Anschauung.
In Conrad Ferdinands ,Maientag'
dagegen
ist
die
Fantasie
völlig
unbeteiligt:
Englein singen aus dem blauen Tag,
Mägdlein singen hinterm Blütenhag,
Jubelnd mit dem ganzen Lenzgesind
Singt mir in vernarbter Brust ein
Kind.
Hier benutzt der Dichter das übertragene Bild als
Gleichnis, um seine wiedergewonnene Heiterkeit aus-
zudrücken. Obwohl geistreich, ist ihm das Gleichnis
nicht Anschauung geworden, sonst hätte er uns nicht
mit der Vorstellung einer vernarbten Brust gequält,
in der ein armes Kind auch noch singen muss.]
Überall gründet sich die Fantasie und wendet sich an
ein tiefes Gemüt. So treu und ernsthaft sie auch
ihren Gegenstand betrachtet, ihn nie aus den Augen
lässt, ihn nie verliert, so löst sie doch die äußeren
Stofflichen Zufälligkeiten von ihm ab und betrachtet
ihn in seinem entkörperten Wesen. Ich habe aber,
im Widerspruch hierzu, noch nicht genügend jene
krankhafte Geistreichigkeit hervorgehoben, die mehr
auf nervösem Temperament, als auf geistiger Kraft
beruht und in Träumen, Fieber, Wahnsinn und an-
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