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beständig vereint und es gilt daher stets die fühllose
Seite der Geistreichigkeit von der fühlenden der
Fantasie zu unterscheiden.
[Ruskin erläutert nun an mannigfaltigen Beispielen aus
der englischen Poesie die verschiedene Art beider
Fähigkeiten sich zu äußern. Da aber die einzelnen
Worte, auf die es im Zusammenhange ankommt, in der
Übersetzung nicht genau denselben Sinn wiedergeben,
folgen hier wenige erläuternde Beispiele aus der
deutschen Poesie.
In
Goethes
Versen
3.115
dem
West-östlichen
Divan:
lst es
Drück
möglich Stern der Sterne,
ich endlich dich ans Herz!
Ach, was ist die Nacht der Ferne
Für ein Abgrund, für ein Schmerz!
würde Ruskin die beiden ersten Zeilen als geistreich
bezeichnen; denn die durchdringende Fantasie, die
ihre Vorstellungen schaut, ist unbeteiligt dabei: der
Stern ist in diesem Zusammenhange nur ein auf die
Geliebte begrifflich übertragenes Bild, das nicht auf
Anschauung beruht. Die beiden letzten Zeilen sind da-
gegen Ausdruck der eindringenden und anschauenden
Fantasie, denn das Gleichnis bringt die Empfindung ver-
stärkt zur Anschauung. In Goethes Lyrik findet man
durchgehend Belege für das was Ruskin unter Fan-
tasie der Anschauung versteht. Sie webt überall die
Einschlagefäden von Bild und Sache. Man vergleiche