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Die Anschauung der Fantasie, wie sie dem gewöhn-
lichen Verständnis eignet, gewinnt Wert und Kostbar-
keit aus ihrer Unbestimmtheit. Es liegt ein unwider-
stehlicher Zauber in der Erinnerung und Vorausemplin-
dung schöner Erlebnisse; sonniger und vergeistigter
als ihre Gegenwart. Diese kann uns übersättigen
und selbst übermüden, nie aber ihre Vorstellung in
der Fantasie. Es verlangt sogar Selbstdisziplin, da-
mit die Seele nicht in eine krankhafte Unzufrieden-
heit mit allem, was sie augenblicklich besitzt, ver-
falle, und nicht beständig nach Dingen verlange, die
fern sind.
Und doch schreibe ich diesen Zauber nicht bloß der
Unbestimmtheit der Anschauung zu. Denn Erlebnisse,
die uns als tatsächliche Gegenwart Schmerzen ver-
ursachten, können in unserer Vorstellung einen erha-
benen Eindruck zurücklassen, soweit sie erhaben
waren während die Erinnerung an ihre sinnliche
Unannehmlichkeit verschwunden ist. So können
fürchterliche Umstände in Worten geschildert werden,
wie oft bei Homer und Spenser, die keinen Augen-
blick in Wirklichkeit oder auf der Leinwand erträg-
lich wären. Außer dieser sänftigenden, verklärenden
Wirkung, vermag die Vorstellungskraft viele Dinge
ganz aus ihrer Anschauung auszuscheiden und nur
solche zurückzubehalten, von denen das meminisse ju-
vabit gilt. Das macht das Bereich der Erinnerung
Zu etwas so entzückendem. Aber von Dingen, die
an sich schön sind, halte ich Undeutlichkeit nicht für