278
da Fiesole, deren Werkzeug manch harte Ecke stehen
lässt und alle Rundung verschmäht, dafür aber Licht
ausmeißelt und Atem aushaucht, dass der Marmor
schimmert und der Geist herausleuchtet. Mino blieb
bei
der
Menschennatur
stehen.
Wohl
erblickte
er
ihre Seele, aber nicht die Gegenwart der Geister um
sie her. Es war Michelangelo vorbehalten, tiefer
einzudringen und die einwohnenden Engel zu schauen.
Keines Menschen Seele ist allein. Laokoon frisst die
Schlange am Herzen und Tobias hält der Engel an
der Hand. Die geistigen Mächte, die den Menschen
begleiten, sind als Licht oder als Furcht auf seinem
Antlitz sichtbar. Buonarottis körperliche Gestalten,
so fest, so weiß und greifbar wirklich, werden un-
weigerlich als Ausdruck oder Behausung einer un-
endlichen, unsichtbaren Macht empfunden. So beginnt
der Erdboden des Adam in der Sistina zu brennen.
So bricht die Gestaltung des Weibes als Anbetung
aus Adams Schlaf hervor. So rasten über uns, ge-
bannt in ihre irdische Gestalt, die zwölf gewaltigen
Ströme des Gottesgeistes. Die, durch welche die
Verheißung und Gegenwart Gottes herniederkam, von
Eva bis hin zu Maria, harren im Schatten der Zu-
kunft; eine jede getreu und gesammelt in ihrer Er-
wartung, stille vorausschauend von ihrem steinemen
Throne, Bausteine des Gotteswortes.
Nicht nur die Schreckensscharen, von der Erde auf-
gejagt durch die Winde aus den vierEcken des Ge-
richts, sondern jedes Bruchteil, jedes Atom von Stein,