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vernommen, wandelt sie in ihren Augen zu Gesichten
von Engeln. Phiolen, die Jahrtausende verschlossen
auf dem Meeresgrunde geruht, entsiegelt sie, und es
entsteigen ihnen Geister. Diese Kraft trägt und er-
hält jede große künstlerische Konzeption. Jeden
Charakter, den Männer wie Aeschylos, Homer, Dante,
Shakespear nur berühren, haben sie in seinem Inner-
sten begriffen. Jeder Umstand, jeder Ausspruch, ob
angedeutet oder in Worte gefasst, ist Ausdruck seines
Wesens, ist aus einem inneren Vorgang abgeleitet
und bezieht sich auf diesen geheimen, inneren Ur-
sprung, den sie keinen Moment aus dem Auge lassen.
So eröffnet jedes Wort, das aus dem Herzen geboren
ist, einen Zugang zum Herzen, führt uns ins Zentrum
der Persönlichkeit und überlässt uns selbst, so viel
daraus zu entnehmen wie wir können. Es ist das
offene Sesam einer verborgenen, dunkeln, unge-
heuren, unermesslichen Höhle, in der unerschöpfliche
Schätze an reinem Golde verstreut liegen. Darin
umherwandern und die einzelnen Stücke auflesen,
kann ein jeder. Aber das erste Auftun jenes unsicht-
baren Felsentores vermag die Fantasie allein.
Darum durchzieht jedes Wort des fantasievollen Gei-
stes ein Unterstrom ehrfurchterweckender Bedeutung;
ein Zeugnis der tiefen Orte, an denen er entsprungen.
Dies Wort ist oft dunkel, oft nur halb ausgesprochen.
Denn er, der es schrieb, schaute die Dinge, die er
damit meinte, und hatte keine Geduld sie ausführlich
auszulegen. Verweilen wir aber dabei und folgen