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völligen Mangel an Fantasie ihrem Vollbesitz gegen-
über gestellt, um den Unterschied zwischen Kompo-
sition und Imagination verständlich zu machen. Aber
es ist eine Kraft, die mannigfach modifiziert auftritt.
Wenige Künstler von Rang ermangeln ihrer gänzlich.
Die meisten besitzen sie wenigstens in geringem Maße;
aber wenige Maler haben ohne ihren Sauerteig etwas
Außerordentliches erreicht. Noch wenigere besitzen
sie in hohem Grade. Selbst Männer riesenhaftester
Kraft in dieser Hinsicht, Tintoretto an der Spitze,
kommen in der Ausführung an ihre Grenzen, und
Einzelteile ihrer Werke weisen nach, dass sie nicht
in dem Originalentwurf enthalten waren, sondern all-
mählich während der Arbeit entstanden oder als De-
koration hinzugefügt wurden.
Bei den meisten Malern treten Risse und Missgriffe
der Anschauung zu Tage, und wenn sie ein vollkom-
menes Werk schaffen wollen, lassen sie ihren Ge-
danken in verschiedene experimentierende Formen
schweifen, schmücken und beschneiden ihn lange be-
vor sie ihn verwirklichen, so dass ein gewisses Maß
bloßer Komposition auch in den fantasievollsten Wer-
ken ist, und ein paar Funken Fantasie selbst in den
gekünsteltsten. Wiederum, die Teile eines Bildes,
die ehrlich und unverändert der Natur entnommen
sind, wirken wie Ausdruck der Fantasie; denn in
der Natur ist alles fantasievoll, d. h. als Ganzes
vollkommen und in den Einzelheiten unvollkommen.
Ein Maler mit noch so wenig Fantasie kann Großes