11
in der Landschaft zu vernachlässigen, sie nur in
großen Massen zu behandeln und nur allgemeine
Wahrheiten darzustellen. Die Beweglichkeit des Laubes,
aber nicht seine Art. Die Härte der Felsen, aber
nicht ihr mineralogisches Gestein. Reynolds be-
lehrt uns in seiner XI. Lektion, dass der Landschafter
nicht für den Virtuosen und Naturforscher arbeite,
sondern für den allgemeinen Beobachter des Lebens
und der Natur. Das ist wahr in demselben Sinn, in
dem der Bildhauer nicht für den Anatomen, sondern
für den gewöhnlichen Beobachter des Lebens und
der Natur schaiTt. Deshalb darf der Bildhauer aber
nicht der Erkenntnis und Wiedergabe anatomischer
Einzelheiten ermangeln. Je raffinierter er dies aus-
drücken kann, um so vollendeter sein Werk. Was
dem Anatomen Zweck, ist dem Bildhauer Mittel.
Der erstere begehrt Einzelheiten um ihrer selbst willen,
der andere, um sein Werk mit Leben zu durchglühen
und in Schönheit zu prägen. Ebenso in der Land-
schaft. Botanische und geologische Einzelheiten stei-
gern nur den Gesamteindruck. Am Vordergrund von
Tizians ,Pietro Martiri' lobt Reynolds es besonders,
dass die Pflanzen genügend ausgeführt seien, um ihre
Unterschiede festzustellen, aber nicht mehr. Aber
Reynolds irrt sich. Er selbst ist ein seltsames Bei-
Spiel für den Irrtum, den er Vasari verwirft: das
zu sehen, was er sehen will. Er sieht vielmehr nicht,
was er nicht sehen will.
Die großen italienischen Maler und ganz besonders