Volltext: Moderne Maler (Bd. 11/12 = Bd. 1/2)

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ergreift, etwas Erhabenes liegen. Das Leid von 
Guercinos Hagar in der Brera-Galerie in Mailand ist 
verächtlich, abstoßend und lächerlich. Das ist nicht 
der Schmerz der beleidigten Egypterin, die in die 
Wüste gejagt wird und das Geschick eines Volkes 
unter dem Herzen trägt; vielmehr ein Mädchen für 
alles, die vor die Tür gejagt wird, weil sie Tee 
und Zucker gestohlen hat. Gewöhnliche Maler ver- 
gessen, dass die Leidenschaft nichts absolutes ist 
und nicht an sich groß oder stark, sondern nur im 
Verhältnis zu der Stärke oder Schwäche der Seele, 
an der sie Teil hat; und dass sie durch über- 
triebene Darstellung ihrer äußeren Merkmale nicht 
die Leidenschaft erheben, sondern den Helden er- 
niedrigen. Sie halten die Leidenschaft ihrer Natur 
nach zu sehr für gleichartig, und vergessen, dass 
Achilles Liebe etwas ganz anderes als Paris Liebe 
und Alcestis als Laodamias Liebe ist. Die Betrach- 
tung der Leidenschaft an sich hat keinen Zweck. 
Sie hat Wert nur sofern sie in der Menschenseele 
die Brunnen der großen Tiefe aufbrechen lässt, 
oder ihre Macht und Majestät entfaltet. So gewahrt 
man die Zeitlosigkeit der Berge am nachhaltigsten 
unter dahin schwindenden Wolkenzügen. Alle Lei- 
denschaft aber, die überwältigende Macht gewinnt, 
und in der die Kreatur nicht überwindend, sondern 
überwunden erscheint, ist für große Kunst unge- 
eignet, da sie den idealen Charakter der Ziige zer- 
stört. 

	        
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