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moralische Irrtum hat dies üble Folgen für die Kunst
gehabt, da selbst ihre größten Maler nicht von diesen
Flecken frei blieben. Fra Angelico z. B. verweilt in
seinen Passionsbildern immer bei der körperlichen
Tortur und spart nicht das Blut. Giotto, größer in
der Behandlung, malt kaum wirkliches Blut in der
Kreuzigung über dem Tore des Klosters von San
Marco, er lässt es in konventioneller Weise aus Jesu
Füßen strömen und sich als dunkelrote Schnur selt-
sam um einen Totenkopf winden. Die Darstellungen
dieser großen Meister blieben aber immer vornehm,
im Gegensatz zu den Schreckbildern der späteren
Maler. Diese vier Leidenschaften wirken in jedem
Grade erniedrigend auf die menschliche Gestalt.
Alle Leidenschaft wird unedel, wenn sie auf unwürdige
Objekte fällt; denn dadurch erscheint sie banal und
ungerechtfertigt; oder wenn sie in ruchloser Heftig-
keit entbrennt und die menschliche Würde aufhebt.
_]eder Schmerz ist edel oder unedel, je nach dem
Wert und der Würde des betrauerten Objekts, und
der Größe der Seele, die ihn erleidet. Der Kummer
verletzter Eitelkeit oder des Geizes ist einfach wider-
lieh.
Selbst
der Schmerz
über
eine
verlorene
Liebe
kann erniedrigend wirken, wenn er sich selbstsüchtig
und ungezügelt erzeigt. Aller Schmerz, der die Züge
verzerrt, ist unedel, weil gewöhnlich seicht und sicher-
lich bald vorübergehend, wie bei Kindern. Doch kann
in dem Schreck und Schauder, der die Züge eines
kräftigen Mannes unter plötzlichem, heftigem Schmerz