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Galerie, bis hinab zu dem Erdenkloß der Modernen.
Wir müssen nur darauf achten, wie sehr alles, was
dem Gegenstand und der Tendenz nach gemein und
niedrig ist, erlöst wird durch reinen, wahren Farben-
ton. Vorwurf und Gegenstand vieler großer Maler
des Nackten, wie z. B. Tizian, ist nicht immer hoch
gegriffen, aber wir, welche die feurige Leuchte im irde-
nen Gefäß des Leibes nicht wie er malen können,
müssen mit anderen Waffen kämpfen. In einem Klima,
wo der Leib häufiger und offener Sonne und Wetter
ausgesetzt ist, wie bei den Griechen, wird das Nackte
von größeren und reineren Gesichtspunkten aus be-
trachtet, ohne Vorstellungen niederer Art zu erwecken;
das Fleisch erlangt aber auch durch das der Luft
ausgesetzt sein eine Festigkeit und sonnige Elastizi-
tät, die sehr verschieden ist von der seidigen Glätte
der gewöhnlich bekleideten Völker des Nordens, wo
jedes Modell nicht nackt wirkt, sondern als wäre es
zufällig unbekleidet.
Aus der Furcht und Unsicherheit, in der wir dem
Nackten gegenüber treten, wird es Ausdruck des
Niedrigen. Statt der kühnen Freiheit der alten Mei-
ster, die selten menschlicher Hoheit ermangelte, selbst
wenn ihr heiliges Fühlen fehlte, haben wir eine
gemeine, mit Gewändern drapierte, gazeverschleierte,
gezierte Sinnlichkeit "mit Locken und gekräuselten
Haaren substituiert, aus der meiner Meinung nach nur
moralische Entnervung und geistige Lähmung ent-
stehen kann. [Der wahre, hochentwickelte, malerische