Volltext: Moderne Maler (Bd. 11/12 = Bd. 1/2)

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gemein werden. Bei Giorgione aber, dessen Ver- 
stand von Fantasie durchglüht, ist das Bewusstsein 
der Nacktheit völlig aufgehoben. Er hat weder Wunsch 
noch Bedürfnis, etwas verbergen zu wollen, denn 
seine nackten Gestalten wandeln unter den Bäumen 
wie Feuersäulen und liegen auf dem Rasen wie 
Sonnengarben. Die religiösen Maler versöhnten mit 
der Nacktheit einerseits durch ihre herben Formen und 
strengen Linien, wie andererseits durch ihre Farbe, 
aber ihre bekleideten Gestalten verdienen im allge- 
meinen doch den Vorzug. Sie bilden aber mit 
Michelangeld und den meisten Venetianern eine 
Gruppe, deren Anblick und Ziele so rein sind, dass 
zwischen ihnen und allen andern Schulen eine Kluft 
gähnt.  
[Der fromme Purist betrachtet den Menschen losge- 
löst von seinen Beziehungen zur Welt. Er tilgt alle 
Spuren irdischer Leidenschaft aus den Zügen, durch- 
leuchtet sie mit heiliger Liebe und Hoffnung, und 
prägt ihnen die Heiterkeit himmlischen Friedens auf. 
Unter tiefen Falten schwerer Gewänder verbirgt er 
die Körperformen. Er malt lieber Gestalten, abge- 
zehrt von Fasten und Kasteien, bleich von Tortur, als 
durch Lebensbetätigung kräftig entwickelte Menschen, 
denen das Blut gesunder Aufwallung in die Wangen 
steigt. Der große Naturalist aber erfasst den Men- 
schen in seiner Totalität, in dem was sterblich und 
unsterblich an ihm ist. Er ist im stande, den vollen 
Umfang 
seiner 
Leidenschaften 
ZU 
ergründen 
und
	        
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