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Orte der Fäulnis durchschreiten, es bleibt nichts an
ihm haften. Oder er tauft alle Dinge und wäscht
sie rein mit Wasser, wie unser Stothard. Der Künstler
muss aber selbst danach verlangen, daher findet es
sich nur in den Werken geistig gerichteter Menschen.
Es lehren oder erläutern zu wollen wäre vergeblich.
Auch gehört dies zu der Darstellung der seelischen
Abbilder der Dinge, und nicht zu den Dingen selbst,
worüber mehr gelegentlich der Fantasie zu sagen ist.
Hier nur wenige große praktische Prinzipien. Die reine
Darstellung des Nackten beruht in erheblichem Maße
auf Intensität und Wärme der Farbe. Ist sie opal,
erdig kalt und ermangelt des glänzenden Fleischtons,
so werden die Linien wahrer Schönheit, wenn sie
streng und fest sind, ohne den Schimmer und die
Steigerung der Natur, hart erscheinen, so dass der
Maler, um die Vorstellung von Fleisch zu erzielen,
genötigt ist, sie lüsterner Fülle und Rundung zu
opfern. Aber damit ist jede Idealität von Form und
Farbe zerstört und Alles oberflächlicher Lüsternheit
iiberantwortet. Echte Farbenglut dagegen bringt so-
wohl edlere Formenstrenge hervor, als sie an sich
wie Feuer wirkt, reinigend und läuternd. Die bloße
Kraft vollendeter Farbe erlöst in gewisser Weise
selbst eine niedrige Geistesrichtung. Tizian, der oft
niedrige Gegenstände behandelt, oder hohe Dinge
niedrig, wie die widerwärtige Magdalena im Palast
Pitti und Barberigo in Venedig, versöhnt alles durch
die Herrlichkeit seiner Farbe; so kann er gar nicht