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kehrt.
Vom
idealen
Antlitz
dürfen
wir
nicht
die
Spuren des Schmerzes verbannen, noch vergangner
Leiden; nicht einmal von vergangner und überwundner
Sünde; sondern nur die unmittelbare Wirkung jeder
bösen, kalten und hohlen Empfindung. In dem Kampf
zwischen Leib und Seele können wir andeuten, dass
der Leib besiegt und verschlissen sei und die Spuren
harten Kampfes und bitterer Pein trage, ohne damit
die Reinheit des Ideals zu verringern. Da es nicht
in der Möglichkeit der menschlichen Fantasie liegt,
die zahllosen Besonderheiten von Erfahrung, Leiden
und Empfindungen auszuklügeln, die ihre Züge jedem
Antlitz unauslöschlich eingeprägt haben, kann kein
wahres Ideal erreicht werden durch irgend welche
Kombination, noch durch ein ineinander kneten und
verschmelzen individuell verschiedener Schönheits-
züge, ohne ein bestimmtes Vorbild. Aber aus jedem
Antlitz, das auf seiner Stirn das göttliche Siegel trägt,
ist es möglich, ein vollkommenes Ideal heraus zu
arbeiten. Gewöhnlich wird die Porträtmalerei der
idealen Darstellung entgegengesetzt. Und dennoch
kann kein Antlitz ideal sein ohne Porträtähnlichkeit.
Das
Streben
nach künstlerischem Idealismus kann nur
dann erfolgreich sein, wenn die Kunst sich der gedul-
digen und demütigen Wiedergabe wirklicher Modelle
befleißigt und alles auszulegen versteht, was das
Leben auf die Ziige geschrieben hat; wenn sie die
heiligen Hieroglyphen ihrer Geschichte entwirrt, den
Vorhang des leiblichen Tempels zerreißt und die