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Blätter eine höhere, reichere Entwicklung finden.
Aber das Ideal der Pflanze kommt nur vor in den
obersten losen Steinen der Moräne, in voller Einsam-
keit; benässt von dem kalten, unfreundlichen Herab-
tropfen des Gletscherwassers und zitternd, wenn der
lose, steil abfallende Staub, an den sie sich klammert,
mehr und mehr nachgibt und von ihren Wurzeln
fortkrümelt. Wie aber ist dieser ideale Schönheits-
begriff vereinbar mit dem wohltuenden Eindruck von
Glückseligkeit der Kreatur? Die Antwort lautet:
Die wahre und echte Glückseligkeit jeder Kreatur
liegt grade in der Ausübung ihrer charakteristischen
Obliegenheit, und in den Anstrengungen, durch welche
ihre Kraft und die ihr eignende Energie entwickelt
wird. Die Ruhe, die wir jeder Schönheit notwen-
dig erachteten, ist eine Ruhe, nicht der Erschöpfung,
nicht des Überllusses noch der Unentschlossenheit,
sondern die Ruhe herrlicher Energie und lebendigen
Seins. Im Handeln die Ruhe entschlossenen Ver-
trauens; eine Ruhe, die das Bewusstsein erfüllter
Pflicht und errungenen Sieges verleiht. Diese Ruhe
und dies Glück kann gedeihen, sowohl in Sturm und
Anfechtung, wie an den Wassern des Trostes. Sie
weicht nur dann, wenn die Kreatur sich selbst untreu
oder von Umständen bedrängt wird, die ihrem Wesen
unangemessen und widrig sind, ein Kampf, für welchen
sie weder ausgerüstet noch bestimmt war. Die Ruhe
der Gemse, die sich atemlos auf ihrem granitnen
Lager ausstreckt, ist etwas Herrliches, aber nicht die