211
der Fantasie existieren. Denn, existierten sie tatsäch-
lich und wirklich, so wäre es nicht richtig, sie ideal
zu nennen; man bezeichnete sie alsdann besser als
charakteristisch, oder allgemein, und beschränkte das
Wort ideal auf die Wirkungen der Fantasie und auf
das Resultat ihrer vollkommenen oder unvollkomme-
nen Gestalten. Aber das Wort ideal ist so lange und
allgemein in dieser Bedeutung angewandt, dass wir
notwendig dabei bleiben müssen.
Ich beginne die landläufige Auffassung des Ideals zu
erläutern an Beispielen von Austern und Napf-
muscheln. Unter vielen werden sich immer einige
so vollkommene Exemplare finden, dass es überflüssig
wäre, ein vollkommenes Austernideal zu bilden, indem
man die Züge verschiedener Austern mit einander
zu einer verschmölze. Dasselbe gilt für Vögel und
Fische derselben Gattung. Die Idealität dieser Ge-
schöpfe besteht in der vollkommenen Entwicklung
aller Kräfte und Fähigkeiten der Kreatur als solcher,
und ist unvereinbar mit ihrer zufälligen oder unvoll-
kommenen
Entwicklung.
Die Bedingungen der Idealität in der Pflanzenwelt
sind aber andere. Unter vielen Primeln und Veilchen
würde die Mehrzahl ihrem Ideal entsprechen. Aber
in der Formation komplizierter Pflanzen, z. B. der
Eichen, walten dauernd große Unterschiede.
Die sogenannten schönen Eichen, die sich in Parks
und an geschützten Orten voll entwickeln können,
sind andere als die armen und gemeinen Eichen, für
1411