206
so gering wir es auch oft anschlagen Ursache zum
Dank erblicken, Grund zur Hoffnung, Anker des Glau-
bens, mehr als in all den andern mannigfaltigen Früch-
ten und Führungen, mit denen Gott die Jahre krönt
und die Pfade der Menschen schmückend umhegt?
VON
DER
SCI-IÖNHEIT
DES
LEBENS
RELATIVITAT
IHRE
[In diesem Kapitel kommt das ganz moderne Em-
pfinden zum Ausdruck, dass jedes Ding erst durch
Spezialisieren und Individualisieren zu seiner höchsten
Entfaltung komme, in der es seine besondere Auf-
gabe erfüllen könne.]
Ich untersuche zunächst jene Art Schönheit, die an
lebenden Dingen in der Erfüllung ihrer Obliegenheiten
in die Erscheinung tritt. Ich habe schon das Bei-
spiel einer sehr reinen und hohen symbolischen Schön-
heit angeführt, die man in den Linien und Abstufungen
fleckenloser Schneemassen findet. Wenn wir Anfang
Mai in den niederen Alpen an die Ecke eines Schnee-
feldes gelangen, werden wir darin ziemlich sicher
zwei oder drei runde kleine Öffnungen bemerken,
und daraus unerwartet eine zarte, schlanke, schwer-
mütige Blume auftauchen sehen, die Soldanella alpina,
deren kleine dunkelpurpur umSäümtß Glocke sich
nieder senkt und schaudert über die Eisspalte, durch
die sie emporgeklommen ist, wie verwundert über