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keusch nennen, selbst in Gottes Schöpfung. Man
vergleiche die I-Ierbstaster oder Sonnenblume mit dem
Maiglöckchen. Wenn wir diese Vorstellungen von kom-
plizierten Dingen auf einfache Linien und Farben über-
tragen, so werden wir sie auf einen Unterstrom von be-
ständig angenehmen Empfindungen zurückführen, die
in materiellen Dingen die Erscheinung einer sich in
Schranken haltenden Freiheit erweckt. In der Gott-
heit ist Zurückhaltung keine Schranke, sondern Ge-
setz, in materiellen Dingen aber wirkt jeder Schein
von Pein oder dem Mangel an Können und Freiheit
hässlich und verkehrt. Denn die wahre Zurückhal-
tung, im Geist des Menschen wie in seinen Werken,
ist ein williges und nicht peinliches Innehalten vor
Entfaltung der höchsten Kraftsteigerung. Dagegen
ist der Anschein von Fesseln oder Beschränkung die
Ursache des I-Iässlichen, und der Schein, dass das
Zurückhalten auch nur den geringsten Schmerz oder
die leiseste Anstrengung verursache, ein Zeichen von
Sünde.
Ich habe
weil ich
dies Attribut der Schönheit zuletzt genannt,
es als Gürtel und Sicherheitswache aller
andern
betrachte ,
und
in
dieser
Hinsicht
als
das
wesentlichste.
Es ist möglich, einen gewissen Grad von Schönheit
ohne einen ihrer anderen Bestandteile zu erlangen,
wie der Symmetrie oder Einheit. Aber der ge-
ringste Schein von Heftigkeit oder Extravaganz, von
Mangel an Maß und Zurückhaltung, zerstört meiner