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sterben und verfallen ist. Aber es ist schwierig bei
diesen Eindrücken zu verweilen, weil Unreinheit und
Korruption auch andere Sinne beleidigt und durch
den Schauder und Schrecken, den dies hervorruft, als
Zeugnis der Sünde und ihrer besonderen Strafe er-
scheinen. Das Entzücken am Schauen der Reinheit
ist aber von der Liebe zum Licht als Symbol der
Wahrheit und Weisheit unzertrennlich. Darauf beruht
es wohl, dass wir durchsichtige Körper bewundern
und ein Stück Bergkristall für reiner erachten, als
ein Stück Marmor, und den Marmor für reiner als
ein Stück Kreide. Aber die schönsten Dinge in der
Natur sind nur teilweise durchsichtig. Ich halte dafür,
dass das allerhöchste Schönheitsbewusstsein über-
tragen wird durch eine leise, durchsichtige, sanfte,
aber nicht glänzende Fläche von Weiß, und blassem
aber warmen Rot, von dem reinsten und zartesten
Grau gedämpft, wie in den schöneren Teilen des
menschlichen Antlitzes, in schneebedeckten Gipfeln
und weißem Vogelgefieder unter rosigem Licht. In
diesem Sinne spricht Viola von Olivia in „Was Ihr
wollt" und Homer vom verwundeten Atriden. Ich
rede hier nur von materiellen Qualitäten. Wer eine
vollkommene Vorstellung erlangen möchte von der
Schönheit einer beglänzten Fläche, möge wenige Mi-
nuten vor Sonnenuntergang einen Schwan betrachten,
der im vollen Licht seine Flügel ausbreitet. Die
menschliche Wange oder das Rosenblatt ist kaum so
rein, und die Gebilde des Schnees, obwohl individuell