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neben jeder anderen Art von Einheit bestehen kann,
und sich behauptet, wenn alle anderen Mittel versagen,
kann man wohl sagen, sie liege an der Wurzel fast
aller unserer Eindrücke vom Schönen.
Dagegen ist konstruktive Proportion nicht notwendig
erfreulich für das Auge, sondern für den Geist, der
die Funktion, der sie dient, begreift. Die Lieblichkeit
oder Richtigkeit der Verhältnisse einer Säule beruht
nicht auf dem bloßen Verhältnis von Durchmesser
und Höhe, sondern auf drei anderen Bestimmungen:
der Stärke des Materials, dem Gewicht, das sie zu
tragen hat, und dem Umfang des Gebäudes. Die Ver-
hältnisse der hölzernen Säule wären so verkehrt in
einer steinernen, wie die eines kleinen Gebäudes in
einem großen; und zwar lediglich aus mechanischen
Gründen, die mit der Vorstellung von Schönheit
nichts zu tun haben.
[Darauf folgen Ausführungen über die scheinbare Pro-
portion geschwungener Linien, wie sie sich äußert,
und wie sie in natürlichen Formen hervortritt . . . .
Sichtbare Proportion, oder melodische Verbindung der
Quantitäten untereinander, bildet eine Ursache ihrer
Einheit und ist darum eine der Quellen jeder schönen
Form. Konstruktive Proportion wirkt wohltuend auf
den Geist, der sie erkennt oder vermutet, und wo
sie scheinbar fehlt, wirkt der Mangel peinlich. Dieser
Genuss und diese Pein haben aber nichts mit jenem
Schmerz und Genuss gemein, die von den Vorstel-
lungen der Schönheit selbst ausgehen.