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sie endet sein Wissen in falscher Pedanterie; mit
ihnen ist es einerlei, wie kühn oder derb er gelegent-
lich eines dieser Gesetze überschreitet auch
seine Übertreibungen werden noch bewundernswert
S611].
Man mag dies Prinzip gefährlich finden. Dennoch
ist es wahr und muss bejat werden. Von aller ver-
ächtlichen Kritik ist die am meisten zu verurteilen,
die große Kunstwerke tadelt, wenn sie ohne Rüstung
auftreten und ablehnt, die große geistige Strahlen-
brechung ihrer Wahrheitssonne zu fühlen und anzu-
erkennen, weil sie an einer falschen Stelle aufgegangen
und auf sie niederstrahlt vor der festgesetzten Zeit.
Aber ich habe nicht Gefühl, Fantasie oder Einbil-
dungskraft der Erkenntnis vorangestellt, sondern Be-
obachtung, Erfahrung, Neigung und Vertrauen auf die
Natur. Es ist ferner ein Unterschied zwischen der
Freiheit, die sich ein Mensch gestattet, vor der eines
anderen, der des einen Freiheit bewundernswert und
die des anderen sträflich macht. Und dieser Unter-
schied ist jedem ernsten Menschen ersichtlich, obwohl
nicht so erklärlich, dass sich voraussagen ließe, wann,
wo und wem diese Freiheit zu verzeihen wäre.
In Tintorettos ,Paradies' in der Akademie von Florenz
ist der Engel, der Adam und Eva aus dem Garten
treibt, in der Ferne sichtbar . . . Sie fliehen in voller
Eile, der Engel und die Menschen. Der Engel in
einen Kreis von Licht getaucht, fleucht vorwärts ohne
den Boden zu berühren; die bestrafte Kreatur rast vor