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schmolz? Wer hat dem Tanz der toten Wolken
zugeschaut, als das Sonnenlicht gestern Abend von
ihnen gewichen und der Westwind sie wie welke
Blätter vor sich hertrieb? Alles zog vorüber un-
beachtet, ungesehen. Und wer die Gleichgültigkeit
einen Augenblick abschüttelt, wird dazu veranlasst
nur durch das, was aufdringlich und außergewöhnlich
ist. Und doch tut sich weder in den offenkundigen
und lauten Offenbarungen der elementaren Ener-
gien, noch im Hagelschlag, noch im Treiben des
Wirbelwindes der höchste Charakter des Erhabenen
kund. Gott ist nicht im Erdbeben, nicht im Feuer,
sondern im stillen sanften Sausen. Nur unsere nied-
rigen und platten Seiten können durch Blitz und Düster
ergriffen werden. Er aber geht still und unschein-
bar vorüber; die unaufdringliche Majestät ist in der
Tiefe, in der Ruhe, in dem Bleibenden; in dem, was
man suchen muss, um es zu sehen, und lieben, um
es zu verstehen; in Dingen, die die Engel täglich für
uns bereiten und täglich anders; die uns nie mangeln
und sich nie wiederholen, die immer zu finden sind
und doch nur einmal gefunden werden; durch sie
werden wir zur Anbetung geführt und erlangen den
Segen der Schönheit. Sie muss der Künstler, der
die höchsten Ziele verfolgt, studieren. Durch ihre
Kombination muss er sein Ideal schaffen; sie, die
die gewöhnlichen Beobachter kaum bemerken, denn
so wenig die Menschen sich im allgemeinen um Kunst
kümmern, so haben sie ihre meisten Vorstellungen