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die kein Maler der klassizistischen Zeit empfunden
habe. Das moderne Naturgefühl fand damals den
ersten glänzenden Ausdruck in Turners Schöpfungen,
der aber in seinen höchsten Natur- und Kunstoffen-
barungen unverstanden blieb. Als Maler, hatten
Ruskin die Feinheiten des Turnerischen Könnens zu
glühender Bewunderung entflammt. An der Natur
hatte sich sein Auge von Kind auf ernährt und ihre
Mannigfaltigkeit aufgetrunken. Seiner Seele hatte sich
ihre Stimme als Gottes Stimme offenbart. So kün-
dete er nur seine eigenen Erlebnisse, als er für Tur-
ners Kunst begeistert in die Schranken trat. In seinen
Schilderungen der Natur, als dem Urborn dieser neuen
Kunst, wie in der Vergegenwärtigung seiner Bilder,
hat er die englische Prosa zu einer bis dahin uner-
reichten Höhe geführt.
Ruskins rezeptivem Genie hatten sich aber an Tur-
ners Kunst neue künstlerische Werte erschlossen. Der
erste Band der Modernen Maler enthält eine Ästhetik
des Impressionismus, wenn auch in einem andern
Sinn als den, welchen eine einseitige Richtung heute
mit diesem Schlagwort verbindet. Nach Ruskins Auf-
fassung ist alle große Kunst impressionistisch, als
Ausdruck der künstlerischen Eigenart einer bestimm-
ten Persönlichkeit, die ihre sinnlichen und seelischen
Impressionen im Kunstwerk veranschaulicht und auf
den Beschauer zu übertragen vermag. Selbst die
Schönheit der Architektur beruht für ihn auf der Im-
pression ihrer Gesamtwirkung: dem Eindruck einer aus
unvollkommenen Einzelheiten sich ergebenden Ein-
heit, die die Fantasie des Künstlers als solche'kon-