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schrumpft, ist immer etwas daran, das du sehen
kannst, wenn auch nur in der oben angedeuteten
Weise. Seine Linien, Lokalfarben und Schatten
gehen nicht verloren, wenn es zurücktritt; sie
gehen ineinander über und sind einzeln nicht mehr
zu unterscheiden. Aber sie sind da, und ein Objekt,
das aus Einzelheiten besteht, und ein leerer flacher
Raum wirken ganz verschieden. Die Grashalme
einer eine Meile entfernten Wiese sind so weit
erkennbar, dass ihr Schein von dem eines grün an-
gestrichenen Stück Holzes deutlich zu unterscheiden
ist. Die Natur wirkt nie leer und nie bestimmt,
immer geheimnisvoll und immer reich an Überfluss.
Sie lässt dich immer etwas schauen und niemals
alles.
Daraus quillt die Fülle und Vollendung der nie ver-
siegenden Freude, die Gott dem aufmerkenden aus-
gebildeten Auge bestimmt hat. Eine Vollendung, die
keine Ferne unsichtbar und keine Nähe verständlich
machen kann, die sich in jedem Stein, jedem Zweig,
jeder Wolke und jeder Woge um uns her verdoppelt,
ewig gegenwärtig und ewig unerschöpflich bleibt.
Darum ist jede künstlerische Darstellung des Raums
und jeder Zug falsch, der uns alles zeigt oder nichts.
Ich kann mir keine besser erläuternden Beispiele
wünschen, um den völligen Widerspruch dieser beiden
großen Prinzipien darzutun, als die Landschaften der
alten Meister in corpore. Die Niederländer sehen
alles und die Italiener sehen nichts. Beide folgen
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