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dass
die
Welt
eher
einen
zweiten
Tizian
und
einen
zweiten
Rafael
als
einen
zweiten
Rubens
schauen
würde. Aber er gestattet sich zuweilen ganz unmög-
liche Freiheiten. Und dies Bild ist ein Beispiel da-
für. Der plötzliche gelbe Strahl und scharlachne
Kreis in der Mitte dieses Himmels hat die Farbe
eines Sonnenuntergangs, der sich in hellem Tages-
licht vollzieht, während die Sonne zu der Zeit eher
dunkler erscheint, in Licht und Schatten übersetzt,
als heller denn der übrige Himmel. Dies ist ein
Beispiel so verwegener Tollheit, wie es bei Turner
nie vorkommt. Aber unsere Kenner betrachten es
mit unentwegter Bewunderung.
Wie alle großen Koloristen erreicht Turner die
blendende Pracht seiner farbigen Wirkungen durch
Abtönung. Als höchstes Licht setzt er reines Weiß
auf und tönt jedes andere Weiß ab mit Grau oder
Gold. Der Gewandung der vordersten Gestalt gibt
er eine Falte von reinem Karmin und vertieft alles
übrige Rot mit Schwarz oder erwärmt es mit Gelb.
In der tiefen Spiegelung des fernen Meeres ent-
decken wir eine Spur reinsten Blaus, alles übrige
aber erzittert in mannigfacher Steigerung in ver-
schieden zart abgetönten Farben, die als Ganzes
allerdings lebhaft blau wirken, aber nur durch ihren
Gegensatz. Selten findet man bei ihm einen
noch so kleinen Raum bestimmt getönter Farbe;
z. B. ein Blau ohne Zusatz von Wärme, oder einen
warmen Ton
ohne
einen Zusatz,
der es
mit dem Grau