Aegypten.
Versumpfung und Versandung höchst wandelbaren Euphrat- und Tigris-
Ebene das vollständige Vergehen und Verwehen von Ruinen aus unge-
brannten Ziegeln wohl denkbar erscheinen lässt. Macht uns jedoch
die Sage geneigt, in Chaldäa die älteste Cultur, in Monumenten be-
thätigt, zu vermuthen, so finden wir im Nilthal die ältesten Mo-
numente, die sich erhalten haben und die wir überhaupt kennen.
Das ewige Blau des Himmels wie die streng regelmässige Wieder-
kehr aller mit der I-Ierzader Aegyptens, dem Nil, zusammenhängen-
den Naturerscheinungen in diesem wunderbaren Lande stimmen zu der
Gleichmässigkeit und Stetigkeit der ganzen Cultur des Volkes. Von
einer Entwickelung kann bei demselben nur in so weit gesprochen werden,
als der hohen Stufe, auf welcher wir das Volk drei Jahrtausende v. Chr.
finden, minder entwickelte Culturgrade vorangegangen sein müssen,
nicht aber in so fern, als ob nach Erreichung einer gewissen Höhe inner-
halb bestimmter ungefähr tausendjähriger Perioden verschiedene Phasen
der Weiterbildung zu beobachten wären, wie sie der Occident nicht blos
in jedem Jahrhundert, sondern sogar in noch kürzeren Zeiträumen auf-
zuweisen hat. Ohne irgend ein Streben nach Eigenart vollendete der
Aegypter das Werk seines Urahns, und begann ein neues in demselben
Geiste, um es seinerseits wieder in gleicher Art durch seine Urenkel
vollenden zu lassen. So schleppten sich die Geschlechter in zahlreichen
Generationen hin, ohne eine Spur ihrer individuellen Begabung zu
hinterlassen, und nur die Cartouche der Könige lassen uns die Dynastien-
reihen und die Werke von einem Jahrtausend, die ihrer Art nach alle
einem und demselben Jahrhundert anzugehoren scheinen, einigermassen
sondern und in chronologische Reihe bringen. Welche riesige Wan-
delungen hat die europäische Cultur in den vierzehn Jahrhunderten vom
Ende des Weströmischen Reiches bis auf unsere Tage erfahren, und wie
fast unmerklich sind die Aenderungen, welche sich in dem fast gleichen
Zeitraume des alten memphitischen Reiches (Pyramidenperiode), oder
auch des neuen thebaischen von der 17. Dynastie bis zur Ptolemäer-
periode erkennen lassen!
Erst die Forschung der neueren Zeit hat über das wahre Alter der
Denkmäler Unterägyptens Aufklärung gegeben. Als Napoleon I. vor
der Schlacht bei den Pyramiden seine Truppen mit den bekannten
Worten: vVierzig Jahrhunderte sehen von der Höhe dieser Pyramiden
auf Euch herab lu anfeuerte, musste er sich nach der damaligen wissen-
schaftlichen Annahme der Uebertreibung bewusst sein, statt zu ahnen,
dass er noch weit hinter der Wahrheit zurückblieb. Denn wenn die
Pyramiden von Abusir, möglicherweise auch die von Daschur, der